Navigieren / suchen

Two sides of the same coin: Die Schwierigkeit „Jemand zu sein“ oder das einfache „zu Etwas werden“

Von ACD.

Der Autor ACD war in der rechtsextremen Szene aktiv. In seinen Artikeln reflektiert er seine Vergangenheit und gibt Einblicke in seine Entwicklung.

Mit diesem Schreiben melde ich mich aus einen längeren Pause zurück, die ich gebraucht habe, um meine Gedanken zu sortieren und mich auch mal mit den jetzigen Lebensumständen zu beschäftigen. Wenn Ihr den Text lest, möchte ich eine ganze wichtige Sache voranstellen: Was ich hier aufschreibe ist keine Absolution. Ich sage auch nicht, dass jede/r, der/die die gleichen Erfahrungen macht in ein extremistisches Milieu fallen wird, sondern es geht darum für mich persönlich aufzuarbeiten, warum mich eine Musikszene angesprochen hat, deren Werte und letzte Konsequenz ich verabscheue. Mit diesem Teil gesagt möchte ich nun eine Rekapitulation mehrerer Schritte meiner Jugend durchgehen, die nicht angenehm waren, zu denen ich auch meinen Anteil an Schuld habe.

Meine zwei Leben: Der Kampf gegen den Zombie im Keller

 

Ich bin in meinem jungen Leben viel umgezogen und dadurch habe ich Dinge verpasst, die andere zusammengeschweißt und mit-sozialisiert haben. Leider hatte ich in meiner späten Kindheit nicht die Kraft, meine persönliche Biographie als Bereicherung zu sehen, sondern entwickelte eher einen sehr ausgeprägten Wunsch danach mich anzupassen und durch Statussymbole diese mangelnde Sozialisierung zu kompensieren. Dies begann bereits in der fünften und sechsten Klasse und war tendenziell harmlos. Doch sie schaffte die Grundlage dafür, dass ich materielle Güter mit Anerkennung gleichgesetzt habe. Zudem gab es leider in meiner damaligen Schule viel Mobbing unter den Schülern. Ich war sowohl Mobbing als auch Gewalt ausgesetzt und ich habe selbst noch Schwächere als mich gemobbt, um die Opferrolle verlassen zu können. Im Laufe meiner Schulkarriere wurde dies besser, doch blieb ein Wunsch gemocht zu werden, dazuzugehören und eine manchmal sklavische Form von Unterordnung anhand von gelebten Normen und Werten einer Gruppe. Als auch eine Einteilung von Personen in „gruppenkonform“ und nicht-konform. Personen, die nicht anhand der Werte dieser jeweiligen Gruppen lebten, wurden dann von mir und den anderen innerhalb der Gruppe als “nicht wahr” angesehen und somit herabgewürdigt. 

Wie man sich vorstellen kann, war dies ein Nährboden für den Eintritt in die rechte Musikwelt. Zunächst war ich eher in einem linken Spektrum unterwegs, doch dort habe ich nicht die Anerkennung gefunden, die ich gesucht habe. Zudem entwickelte sich die Gruppe in eine Richtung, die selbst nicht mittragen wollte. Drogen waren damals ein großes Thema und der Konsum von sogenannten „harten Drogen“ war zwar noch nicht präsent, wurde aber durchaus für gut befunden und anhand der Normen der damaligen Subkultur auch deren letzte und logische Konsequenz. Diesen Weg sollte ich aufgrund eines sich entwickelnden toxischen Männlichkeitsbildes und eines selbst-gerechten Elitarismus aber nicht nachgehen.

Rechtsextemer Metal war die Antwort auf diese Sehnsüchte. In dieser Szene waren die Bilder noch klarer, die Verhaltensweisen noch mehr vorgegeben. Die Ideologie der Musik passiert zudem auf einem Mobbing-Schemata. Es gibt das Starke, was lebenswert ist, und das Schwache, welches keinen Anspruch auf Leben hat und somit wird das eigene Überlegenheitsgefühl nicht nur bestärkt, sondern geradezu gefordert.

Diese Szene erlaubte mir – einem jungen Mann mit dem Wunsch Bedeutung zu haben aber ohne klare Vorstellung, was er sein wollte – die optimalen Voraussetzungen. Die Gesprächsthemen waren klar, das Aussehen war klar, die Grußformeln waren klar und die Werte ebenso. Alles vorbereitet und ausgelegt, um es sich anzueignen.

Doch Erfüllung kann man hier nicht finden, denn der Wunsch, den ich mit der Szene erfüllen wollte, war zwar eine Gruppe, aber auch „Jemand“ zu sein. Das Problem ist, dass diese Szene zwar ein Gruppengefühl vermitteln möchte, doch wird hier, im Gegensatz zu allen nichtextremistischen Gruppen, das Individuum bewusst ausgegrenzt. Dies liegt daran, dass sie – auch, wenn die „Party-Kultur“ der rechten Skinhead-Szene den „reinen Ideologen“ der extremen Rechten sicherlich zuwiderlaufen – doch dem Geiste des Nationalsozialismus entspricht. Über die Rolle der Person im Dritten Reich sind bereits zahlreiche Werke verfasst worden und dies genau zu erläutern würde diesem Format auch widersprechen, somit halte ich es kurz. Wenn man sich die Reden Hitlers oder Baldur von Schirachs durchliest findet man dort schnell Hinweise, was die Einstellung der Nationalsozialisten zu Einzelperson war. Am besten subsumiert wurde dies von Herrmann Rausching in seinem Werk „Gespräche mit Hitler“: „In meinen Ordensburgen wird eine Jugend heranwachsen, vor der sich die Welt erschrecken wird. Eine gewalttätige, herrische, unerschrockene, grausame Jugend will ich. …Es darf nichts Schwaches und Zärtliches an ihr sein… So kann ich das Neue erschaffen.“ Das Individuum sollte in den „Ordensburgen“ beseitigt werden, abgestumpft gegen menschliches Mitgefühl und neu aufgebaut im Sinne des „Führers“.

Meine zwei Leben: Der Einstieg

Somit konnte ich in der rechten Erlebniskultur nicht „Jemand“ sein, sondern höchsten „zu Etwas werden“. Ein kleines Zahnrad in der großen Maschine der nationalsozialistischen Weltanschauung. Dieses Zahnrad wird im sowohl historischen Nationalsozialismus als auch in der heutigen rechten Szene, sei sie nun politisch oder auf Erlebniskultur ausgelegt, mit Begrifflichkeiten wie „politischer Soldat“, „Kamerad“, „Volksgenosse“ usw. definiert. Was diese Begriffe wirklich bedeuten wurde damals von Adolf Hitler bestimmt und heute von den Musikern und Szenegrößen. Sie bestimmen, wie das Zahnrad aussehen und funktionieren muss und wer nicht Teil der Maschine sein darf. Es fiel mir relativ leicht, mich in diese Maschinerie einzufügen – bis ich es nicht mehr konnte und nun nicht mehr möchte. Denn es ist einfach „etwas zu werden“ und sich von anderen sagen zu lassen, was man zu denken, zu fühlen und zu sagen hat. Sich das selbst zu überlegen ist schwer.

Wie üblich möchte ich hier mit einem Hinweis an jene abschließen, die noch mit der Szene zu tun haben: Ja, es ist schwierig sich selbst einen Platz in dieser Gesellschaft zu suchen, eigene Ideen und Werte, auch im Gegensatz zu den eigenen Eltern, zu entwickeln. Doch ist es nicht ein Segen, dass wir heute in Deutschland in einem Land leben, indem wir das nicht nur können, sondern wir darin aktiv bestärkt werden? Heute sagt dir keiner, was du sagen sollst, machen sollst, denken sollst, wen du lieben darfst? All dies sind wunderbare Freiheiten. Willst du all diese wirklich aufgeben für die Sicherheit, in einer Maschinerie zu leben? Ich war zwar selbst nie Teil einer Gruppierung, Kameradschaft oder Partei, doch als abschließender Gedanke: Selbst, wenn du dich darin (noch) wohl fühlst, schau dir die Szenegröße, Parteiführer oder bekannten Musiker einmal genau an. Willst du wirklich, dass sie nicht nur dir, sondern allen Menschen, die du kennst, für den Rest ihres Lebens vorschreiben dürfen, was du nun selbst entscheiden darfst? Ist es das wirklich, was Du willst?

Alle Beiträge von ACD. Die Beiträge von ACD gibt es auch übersetzt. Text 1 und Text 2.

Foto: Vince Fleming / unslash