Meine zwei Leben: Der Einstieg
Von ACD.
So wie das Verlassen der rechtsextremen Szene ein langer Prozess ist, war für mich auch der Einstieg ein langer und eher schleichender Prozess. Man wacht nicht eines Morgens auf und entscheidet sich, rechtsextreme Musik zu hören, Konzerte zu besuchen oder sich eines rechtsextremen Vokabulars zu bedienen.
In der Reflexion war für mich der Prozess bis zum Einstieg in drei Phasen (Orientierung – Auswahl – Überprüfung) aufgeteilt. Diese Abschnitte möchte ich im Einzelnen hier nun beschreiben und reflektieren, um Euch einen Einblick in die Lebenswelt von jemand zu geben, der sich der rechtsextremen Subkultur zuwendet hat.
Die Orientierungs-Phase
Bereits in der Pubertät hatte ich das Bedürfnis zu einer Gruppe zu gehören und diese Gruppenzugehörigkeit durch Kleidung und Vokabular zum Ausdruck zu bringen. Die Subkultur meiner Wahl war in der Zeit die Hip-Hop-Szene, die aus den USA langsam nach Deutschland drang. Durch gute Sprachkenntnisse konnte ich leicht die Texte verstehen und die Botschaften des sogenannten “Gangster-Raps” waren für einen pubertierenden jungen Mann wie mich sehr attraktiv. Der dortige Hedonismus, die Wunschvorstellungen eines reichen und bei Frauen begehrten Mannes, die in dieser Musikszene bis heute proklamiert werden, verfingen bei mir sehr schnell.
Doch aufgrund mehrerer Gründe hielt das in meinem Fall nicht lange an. Einen grundsätzlichen Anschluss an die damalige Hip-Hop-Szene meines Ortes fand ich nicht. Dies und die Gefühle zu einer damaligen Klassenkameradin, die sich in eine andere musikalische Richtung bewegte, ließen mich diese Szene mehr und mehr ablehnen und brachten mich dazu, mich neu zu orientieren.
Durch die Jahre probierte ich zahlreiche klassische Subkulturen, die sich im politischen Spektrum von links bis rechts bewegten. Was für mich retrospektiv immer wichtig war, waren Aspekte wie: Der Wunsch, optisch aus der Masse herauszustechen, bestimmte Wertvorstellung innerhalb dieser Gruppe, eine elitäre Grundausrichtung um sich gegenüber der Allgemeinheit und anderer Subkulturen abzugrenzen und letztlich die Anschlussfähigkeit zu meiner Persönlichkeit.
Die Auswahl-Phase
Zunächst einmal war die Musik als solches durch entsprechende Tauschbörsen und Video-Plattformen in meiner Zeit leicht verfügbar und wurde bereits von einigen in meinem Umfeld konsumiert. Besonders wichtig für die Sensibilisierung in dieser Zeit waren Gruppen, die gerade nicht explizit nationalsozialistisch/rassistisch waren, sondern Gruppen, die sich in einer “Grauzone” bewegten. Dies bedeutet, dass sie sich entweder mit ihren Texten in Richtung von rechtem Gedankengut bewegten (Übertragung der Schmähung des Christentums auf alle abrahamitische
Religionen), sie mit rechten Symbolen spielten (z.B. Eiserne Kreuze), es ein offenes Geheimnis war, dass die Personen der Band mit Personen aus dem rechten Spektrum Kontakt halten oder in ihren Texten zwar kein rechtes Gedankengut verbreiteten, aber privat eine rechte Einstellung vertreten haben. Diese Gruppen erleichterten mir den Einstieg und sensibilisierten mich, sich weiter in diese Richtung zu bewegen.
Mit dieser Art Musik konfrontiert, begann, wie oben bereits beschrieben, meine interne “Prüfung“, ob ich mich mit den vermittelten Inhalten identifizieren könnte. Das martialische Aussehen und die dazugehörigen Botschaften waren für mich in der Zeit besonders attraktiv. Um sich von dem Mainstream abzugrenzen und somit rein optisch eine Andersartigkeit auszudrücken, erschien mir diese Musikszene besonders geeignet. Mit provokanten und zum Teil strafrechtlich-relevante T-Shirts, Springerstiefel und eine quasi Uniform grenzte sich diese Szene aus meiner Perspektive von der Mainstream-Gesellschaft ab und gab mir gleichzeitig das Gefühl, Teil etwas Größerem zu sein.
Doch es war auch keine rein ästhetische Entscheidung: Die Werte, die durch die rechte Musikszene vertreten werden, waren für mich ebenfalls attraktiv. Begriffe wie “Ehre”, “Treue”, “Stärke” fanden bei mir besonders Anklang. Die idealisierte Vorstellung eines “starken” und “echten” Mannes war ein Ideal, dass ich erfüllen wollte. Dies ergänzte sich damit, dass ich bereits zuvor mit dem Kraftsport begonnen hatte und somit zwei Hobbys miteinander verbinden konnte.
Meine zwei Leben: Teil II: Der Reiz eines rechten Konzertbesuchs
Die Idee für sein Umfeld da zu sein, gemeinsam die Herausforderungen des jungen Erwachsenseins zu meistern, waren Ideale, die ich versucht habe zu leben und die ebenfalls von dieser Musik besungen oder heroisiert wurden. Zudem gaben sie einem die Möglichkeit, einfache Lösungen und ein klares “richtig” und “falsch” zu definieren.
Ich erinnere mich daran, dass zu diesem Zeitpunkt in meinem Leben kleine Notlügen innerhalb meines Bekanntenkreises schnell zu Wut und eines Gefühls des Verrates bei mir führten. Wenn jemand spontan Freitagabend absagte oder sich nicht meldete oder lieber Zeit mit seinem oder ihrem Partner verbringen wollte, empfand ich dies als “ehrlos” und als “Verrat”. Gleichzeitig war die Sakralisierung des Soldaten bzw. des germanischen Helden in der rechten Musik ein Anker für mich, um mit den eigenen Herausforderungen zurechtzukommen. In der Vorbereitung auf meinen jetzigen Beruf waren Prüfungsstress und Leistungsdruck Alltag. Die Musik lieferte hier ein Hilfsmittel um damit klar zu kommen und bestärkte mich gleichzeitig, sobald diese Herausforderungen überwunden waren.
Ergänzend dazu hat die rechtsextreme Subkultur den Reiz, einerseits Freizeitbeschäftigung und damit ein Lifestyle war, aber sich gleichzeitig von dem Hedonismus der anderen Musikkulturen inhaltlich abgrenzte. Hier wurde nicht über Partys, Beziehungen oder ein Luxusleben gesungen, wie ich es vorher kannte. Sie lieferte mir eine “Neue Welt”, mit der man sich beschäftigen und inhaltlich auseinandersetzen konnte. Begonnen mit den Germanen- und Wikinger-Mythen bis hin zu später der okkulten Formen des Nationalsozialismus bzw. des Rassismus. Der Wunsch, die dortigen Botschaften zu verstehen und die Symbolik nachzuvollziehen, verstärkte bei mir den Wunsch, sich weiter mit dieser Subkultur auseinanderzusetzen.
Die Überprüfungsphase
Nachdem ich mich weitergehend alleine mit der rechtsextremen Musiksubkultur und derer ideologischer Ausrichtung beschäftigt hatte, entstand bei mir der Wunsch, mit Personen aus dieser Subkultur in Kontakt zu kommen. Wie in dem vorherigen Teil beschrieben, versuchte ich diese Musik live zu erleben und dieser Welt damit etwas näher zu kommen. Ich war zu keinem Zeitpunkt ein politisch-organisierter Teil der Szene, sondern vielmehr waren die Erlebniswelt, der Lifestyle und die vermittelten Bilder für mich attraktiv. Auf Konzerten, die sich in der beschriebenen Grauzone bewegten, konnte ich dann erste Kontakte zu dieser Szene knüpfen. Die Bezeichnung “Überprüfungsphase” definiere ich hier als eine Form der Möglichkeit, innerhalb einer solchen Szene aktiv sein zu können und positiv bestätigt zu werden. Diese Überprüfung kann ich nur als zweigeteilt abschließend bewerten. Zum einen wurden dort teilweise meine Erwartungen bestätigt. So wurden Werte wie “Treue” idealisiert was für eine längere Zeit den Reiz für mich ausmachte andererseits wurden sie nur zum Teil auch wirklich gelebt. So wurde man dort auch von einigen Mitgliedern der organisierten rechtsextremen Szene oder Personen mit einem gewalttätigen Hintergrund eher kritisch bewertet. Zwar konnte ich durch meine Körperlichkeit durchaus Anklang finden, doch in Gesprächen wurde man eher misstrauisch beachtet, wenn man keine Vorstrafen hatte oder nicht in Parteien oder Gruppierungen aktiv war. Den Wunsch, mich mehr politisch zu engagieren, verspürte ich allerdings nie.
Warum ich das nie wollte und insbesondere nicht zu diesem Zeitpunkt, werde ich detailliert in einem weiteren Text beantworten, doch möchte an dieser Stelle ein paar Dinge vorwegnehmen: Zum einen war natürlich bei mir die Aussicht auf meinen späteren Beruf relevant, indem eine Vorstrafe eine Anstellung unmöglich gemacht hätte. Zum anderen aber auch eine innere Distanz zu diesem Lebensstil, den ich, wie ich glaube, selbst in meiner Zeit in der Szene immer hatte. Zwar habe ich Musik gehört, die zu Gewalt gegen Minderheiten und Religionsgruppen aufrief, doch ausführen wollte ich solche Akte nicht und auch die Wiederbelebung der NS-Herrschaft erschien mir zu einen als nicht erreichbar aber auch als nicht erstrebenswert.
Dazu kommt die Divergenz von Selbstdarstellung und Wirklichkeit. Die rechtsextreme Szene inszeniert sich als “geistige und körperliche Elite”, die einen alternativen Lebensentwurf proklamiert. Doch in der Realität traf ich dort auf viele Personen, die eher bildungsfern, aggressiv im Auftreten waren und vermehrt in ihrem Alltag mit Problemen überfordert zu sein schienen. Zudem kam eine Neigung, Probleme oder Meinungsverschiedenheiten eher durch körperliche Gewalt oder Status als durch problemorientierte Diskussion zu lösen.
Leider habe ich diese Bedenken nicht früher bemerkt und mich früher distanziert.
Anmerkung
Als Abschluss dieses Textes möchte ich eine Bitte an jene formulieren, die diesen Text lesen und dort Personen aus dem eigenen Umfeld wiedererkennen. Zwar gehört zu jedem jungen Menschen eine Zeit der Orientierung und gerade in der Jugend gibt es bei vielen einen Hang zu Musik und Lebensweisheiten, mit denen man kokettiert bzw. “flirtet”, mit denen man sich aber nicht voll identifiziert, doch dies kann gerade wie in meinem Fall, schnell in extremistische Strömungen führen. Wenn Sie dies in ihrem Umfeld bemerken, versuchen Sie das Gespräch zu suchen.
In meinem Umkreis gab es damals “Widerstand” gegen meine Veränderung, doch eine klare Kante habe ich nicht erfahren, weshalb ich weiter gemacht habe. Sollte dies jemand lesen, der sich angesprochen fühlt von meiner Geschichte und merkt, wie er oder sie immer mehr mit extremistischen Ideen flirtet, Sachen entschuldigt, die man nicht entschuldigen kann oder Dinge infrage stellt, die man nicht hinterfragen muss oder sich ertappt, wie er oder sie Texte singt, dessen Inhalte und letzte Konsequenz einen erschaudern lässt, sucht Euch Hilfe in ihrem Umfeld oder bei entsprechenden Stellen. Diese finden mit Euch einen Weg, eure Probleme konstruktiv zu lösen und machen neue Denkmuster auf oder finden eine andere Freizeitbeschäftigung.
Foto: squarefrog / Pixabay