Navigieren / suchen

Meine zwei Leben: Teil II: Der Reiz eines rechten Konzertbesuchs

Von ACD.

In diesem zweiten Text möchte ich etwas genauer erklären, was für mich der Reiz der rechtsextremen Erlebniskultur war. Dazu möchte ich von dem ersten rechtsextremen Konzert erzählen.

Das Konzert fand, wie viele Konzerte, die in Deutschland nicht stattfinden könnten, im nördlichen Italien in der Nähe von Mailand statt. Damals bin ich mit einem Freund hingeflogen und wir haben den Tag damit verbracht mit Bus und Bahn zu einem kleinen Dorf zu kommen wo unsere Pension war und wir wollten von dort aus am nächsten Tag das Konzert besuchen.

Pizza, Party und die Simsons

Auf dem Weg zu einem Konzert beginnt schon der Reiz der rechtsextremen Szene: Man sieht sich außerhalb von solchen Konzerten nur sehr selten und somit freut man sich seine Freunde wiederzusehen und sich über das alltägliche Leben auszutauschen. Wir haben uns damals zudem immer gegenseitig „Wiedersehens-Geschenke“ gemacht. Auf dieser Fahrt habe ich meinem Bekannten ein paar T-Shirts mitgebracht, die mir nicht mehr passten und er brachte ein paar Dosen lokalem Bier mit. So ging die Reise immer schnell um. Wenn man dann in Ländern, wie Italien war, nutzte man, wie alle Touristen, die Chance um italienische Pizza zu essen, guten Wein zu trinken und sich die Umgebung anzuschauen. Unsere Pension lag damals in einem vielleicht 1000 Einwohner-Dorf mit einem sehr rustikalen Baustil. Somit hat man den Abend vor dem Konzert auch einen langen Spaziergang durch das Dorf gemacht und alles auf Bilder festgehalten, wie alltägliche Touristen. Den Rest des Abends haben wir dann auf der Veranda der Pension verbracht, Bier getrunken und uns über unsere Lieblingsserien, wie „How I met your Mother“ und die „Simsons“ unterhalten. Während dessen man Symbole trug, die in Deutschland zu Strafanzeigen geführt hätten. Politik spielte hier kaum bis gar keine Rolle. Natürlich hat man sich auch über die neusten CDs ausgetauscht und sich gegenseitig Empfehlungen ausgesprochen. Doch das war es auch dann.

Der Tag des Konzertes selbst war auch immer  spannungsgeladen. Nach und nach kommen andere Konzertbesucher an und auch wenn man nach außen immer Geschlossenheit demonstriert, in der rechtsextremen Szene sind nicht alle befreundet und da Gewalt und aggressive Männlichkeit in der Szene eine Art „Statussymbol“ ist, schaute man sich die anderen Konzertbesucher doch zunächst misstrauisch an. Da es mein erstes Konzert war und ich bis zu diesem Zeitpunkt wenig Kontakt mit der Szene hatte war dies besonders beunruhigend. Zu dem Ganzen kam auch der „Konkurrenzdruck“. Vor dem Konzert gab es eine Art „Wetteifern“ um das radikalste und seltenste T-Shirt oder die seltensten Aufnäher. Das führte gelegentlich dazu, dass man sich vor dem Konzert nochmal umzog. Radikale Botschaften auf Hemden schafften Status und diesen Status wollte man nicht gerne teilen.

Hakenkreuz-Fahnen und Hitler-Grüße

Das Konzert selbst fand in einer „normalen Kneipe“ statt und ich erinnere mich, dass es damals schon für mich unangenehm war diese Seite von mir vor „Nicht-Rechten“ so zu zeigen. Die Überraschung des Kneipenpersonals war auch offensichtlich als während des Konzertes nach und nach Hakenkreuz-Fahnen aus dem Publikum gehoben wurden. Auch wenn ein solches Konzert stattfindet unterscheidet es sich von anderen Konzerten unterschiedlicher Subkulturen bis auf die Texte der Bands und der Parolen nicht viel. Die ersten Bands wurden meistens übersprungen und zum „Small Talk“ genutzt. Viel Alkohol wurde getrunken und vor den Hauptacts drängt man sich zur Bühne. Heißt das nun, dass diese Konzerte grundsätzlich normale Spaßkultur mit einem anderen Vokabular sind? Nein, das sind sie nicht. Auf diesem Konzert wurde Geld gesammelt für „Kameraden“, die in Gefängnis saßen; die Konzerte werden von rechtsextremen Gruppen organisiert, die z.T. schwere Straftaten begehen und nur durch solche Konzerte können sich diese Gruppen finanzieren und auch wenn Politik keine große Rolle spielt wird durch die Bands und die dort ausliegende Literatur die nationalsozialistische Weltanschauung verbreitet. Zudem wird man durch die Konzerte selbst immer weiter ideologisiert und der rechtsextreme Sprachduktus wird normalisiert. „Sieg Heil“, „Heil Hitler“ sind auf solchen Treffen der Standard und werden somit für einen immer normaler. Damals habe ich immer scherzhaft gesagt, dass ich nach einem Konzert einen Tag brauche, um mich wieder auf die „normale Welt“ einzustimmen. Irgendwie war es auch notwendig und ein Zeichen, wie schnell man den Sprachgebrauch annehmen kann und somit sich für die Ideologie öffnet.

Der Realität entfliehen

Als Resümee kann ich sagen, dass mich damals nicht die Ideologie zu den Konzerten getrieben hat, sondern eine Mischung aus dem Wunsch dem stressigen Alltag zu entfliehen, der Zusammenhalt einer geschlossenen elitären Gemeinschaft, der Reiz des Verbotenem, der Wunsch seine Lieblingsbands zu sehen als auch der Wunsch nach Abenteuer. Das Ganze kommt bei jedem Konzert wellenweise. Zunächst kommt die Freude eines Wiedersehens. Personen  mit denen man sich menschlich versteht, aber auch mit denen man eine Verbindung hat, die man mit keinem anderen haben kann. In meiner Vorbereitung auf meinem Beruf hätte ich schlecht mit anderen über die neusten rechten CDs oder T-Shirts sprechen können und der Uniform-artige Kleidungsstil verstärkt diese Verbindung natürlich noch mehr. Die Gefahr und gleichzeitig der Reiz erwischt zu werden, wenn man sich über Grenzen bewegt und dabei möglichst radikalen Merchandise mitführt und den Erfolg wenn man es dann hinter die deutsche Grenze geschafft hat in Länder in denen man die Symbolik und die Parolen des Dritten Reiches offen zeigen kann. Dann das Abenteuer. Sich in einem anderen Land zurecht zu finden, den Konzertort zu finden und natürlich zu hoffen, dass das Konzert überhaupt stattfinden kann, denn auch in anderen europäischen Ländern müssen solche Konzerte oft verlegt werden. Und schlussendlich Gruppen zu sehen, die man nicht überall sehen kann. Solche Besuche waren für mich aber auch an sich Statussymbole. Man gehörte nun dazu, man war bereit das Risiko einzugehen zu einem solchen Konzert zu gehen und grenzt sich somit von dem vielen ab, die solche Musik zwar in ihren eigenen vier Wänden hören sich aber nicht trauen auf solche Konzerte zu fahren. Somit für mich waren die Konzerte für mich Ablegen des Alltages, Eintauchen in eine andere Welt, Abenteuer und Möglichkeit das eigene Ego zu bestätigen zu zeigen, dass man zu den „echten Fans“ gehört und nicht zu den Feiglingen, die die Musik nur „heimlich“ hören. Und das alles war schwer hinter sich zu lassen. Wenn man sich von der rechtsextremen Szene abwendet fallen diese Erlebnisse auf einmal weg und man muss sich neue Freizeitbeschäftigungen suchen, man braucht neue Möglichkeiten im privaten Raum sich Bedeutung zu verschaffen.

 

Meine zwei Leben – Zwischen Nazi-Musik und Studium

 

Foto: gibbsyns3 / Pixabay