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Meine zwei Leben: Der Kampf gegen den Zombie im Keller

Von ACD.

Seit dem Erfolg von Serien wie “The Walking Dead” ist sicherlich jedem der Begriff“Zombie” bekannt. Es sind stinkende, hässliche, seelenlose und gefährliche Untote, die ihr Unwesen mit den Lebenden treiben. Für mich ist die Verarbeitung meines Ausstieges wie die Auseinandersetzung mit meinem eigenen, im Keller hausenden Zombie. Wie ich mich mit ihm auseinandersetze bzw. auseinandergesetzt habe, kann ich in Form der sechs V‘s beschreiben.

Verlassen und vergessen

Zunächst kam das Verlassen. Damit ist für mich das Verlassen der rechtsextremen Szene(kultur) gemeint. Am Anfang merkt man vielleicht, dass etwas nicht stimmt oder dass es sich nicht mehr richtig anfühlt. Man entwickelt Zweifel, stellt Fragen und ist sich bei den Antworten unsicher. Letztlich beendet man die Kontakte zur Szene, meidet bestimmte Räume und Menschen, zu guter Letzt schmeißt man seine alten Sachen weg. Die Zeit in der Szene ist beendet und nun gestorben. Doch es war auch die Geburtsstunde meines Zombies, denn der Ausstieg war noch nicht erledigt.

Dann der zweite Schritt, das Verdrängen. So ist der Zombie erst in meinen Keller gekommen. Aus den Augen, aus dem Sinn. Man will einfach nur nach vorne schauen und sich neu orientieren. Doch wie einem Zombie eigen ist, ist er zwar tot, aber dennoch da er zuckt und lebt noch weiter, untot, seelenlos und dennoch aktiv. Dies zeigt sich in den stillen Momenten. Man denkt an die Zeit zurück, erinnert sich an die positiven Dinge, verklärt und erschreckt über sich selbst.

Mein dritter Schritt war das Vergessen. In einem neuen Leben sammelt man so viele Eindrücke, dass die Erinnerungen an die Zeit in der rechten Szene schnell verblassen. Man konzentriert sich nach wie vor auf das Neue und so gerät die vergangene Zeit schnell in Vergessenheit. Kurz darauf folgte für mich das “Verniedlichen”. Ich habe meine eigene Vergangenheit eher als “kindisches Gehabe”, als “Jugendsünde”, “Sinnsuche”, als meine Form der “Rebellion” in einer Gesellschaft, die wenig Spielraum für Rebellion bot, bezeichnet. Hier habe ich Schutzräume für mich selbst gebaut. Ich sagte mir: „Du warst ja nie in einer Partei!“ „Du warst ja nie gewalttätig!“ All diese (V)Erklärungen schützten mich. Sie schützten mich vor mir selbst.

Meine zwei Leben: Der Einstieg

Geräusche im Keller

Doch merkte ich, dass mein Zombie noch immer da war. Er kam immer mal wieder aus meinem Keller heraus und zeigte seine hässliche Fratze. Nicht auf der Arbeit. Nicht beim Einkaufen oder beim Sport. Nein, in den stillen Momenten, in den schwachen Momenten, wenn es einem schlecht geht, wenn man gestresst ist, da wandern die Gedanken schnell an die “alte Zeit” zurück. An ein klares Schwarz-Weiß-Denken, das einem Kraft gab. An den Zusammenhalt, an die Gemeinschaft, in der man aufgehen konnte. All das kommt schnell wieder zurück.

Welcher Moment es war, der mich zu dem nächsten V führte, ist schwer zu sagen. Vielleicht war es das Entfernen meines Tattoos, vielleicht waren es neue Kontakte. Woran ich mich aber genau erinnere, war, dass ich an einem geselligen Abend mit neuen Freunden einen sehr bösen Witz gemacht habe. Ich erinnere mich daran, wie ich mich dafür im Nachhinein ungemein geschämt habe. Die damaligen Anwesenden fanden es weniger problematisch, man sei ja klar angetrunken gewesen, Witze macht ja jeder mal. Doch für mich war es einer der Momente, bei dem ich mich meinem Zombie stellen musste.

Damit wären wir beim fünften V: Der Verarbeitung. Hierzu gehören auch diese Texte. Die aktive Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte, um Erklärungen zu finden, warum man das gemacht hat. Mit ihrer Hilfe bin ich auf die Suche gegangen und habe vieles entdeckt, was ich früher verdrängt, bzw. verniedlicht hatte. Hier geht es um mein familiäres Umfeld, meinen früheren Freundeskreis, meine früheren Beziehungen und Partnerschaften, meine eigenen Unsicherheiten, mein gestörtes Verhältnis dazu, was es heißt, ein“Mann“ zu sein, mein problematisches Trinkverhalten. All dies hat dafür gesorgt, dass ich mich in diese Szene begeben habe und damit muss man sich beschäftigen und diese überwinden. Und, um ehrlich zu sein, diese Auseinandersetzung ist nicht immer angenehm und vieles, was ich hier schreibe, ist mir auch in dieser Zeit wieder eingefallen. Es ist nicht schön, seinem Zombie ins Gesicht zu schauen und sich mit ihm auseinanderzusetzen. Denn alles, was man dachte, hinter sich gelassen zu haben, kommt wieder hoch und starrt einen an.

Wiedergänger

Das sechste V habe ich mir von dem Aussteiger TM Garrett geklaut. Er spricht in einem Interview von der Fähigkeit, sich selbst auch zu verzeihen. Ich für meinen Teil bin auf dem Weg, wenngleich ich noch auf den richtigen Moment warte. Doch ich denke bzw. hoffe, dass diese Texte auch dabei helfen werden.

Den Begriff “Zombie” habe ich im Austausch mit dem Exit-Programm erhalten und finde ihn als Metapher sehr passend. Wenn man die Szene verlässt, mag die Zeit in der extremistischen Szene zwar“tot“ sein, doch um diese Zeit hinter sich zu lassen und zu verstehen, warum man dort war, um das Gedankengut hinter sich zu lassen, kann man ihn nicht nur wegsperren, denn er findet immer wieder aus dem Keller zurück in das eigene Leben. Man muss ihm direkt in seine hässliche Fratze schauen, dann stirbt er und verlässt den Keller endgültig und verliert seine Form als Wiedergänger.

Alle Beiträge von ACD. Die Beiträge von ACD gibt es auch übersetzt. Text 1 und Text 2.

Meine zwei Leben – Zwischen Nazi-Musik und Studium

Foto: Nathan Wright / unslash