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Hass, Gewalt und Größenwahn (2/3)

Vom Bund zur Bruderschaft

Von Ferdinand.

Verfasst von Fabian Wichmann und Felix Benneckenstein.

Ferdinand* kam schon in jungen Jahren mit der rechtsextremen Szene in Kontakt. Gespeist aus einseitigen Interesse an Militärgeschichte und Heldenverehrung radikalisierte er sich immer weiter. Er war Mitglied in unterschiedlichen Kameradschaften und Gruppierungen. Gewalt war zu dieser Zeit ständiger Begleiter. Schließlich endete seine Odyssee mit dem Ausstieg aus einer rechtsextremen Bruderschaft. Hier berichtet er von dieser Zeit zwischen Bundeswehr, Rechtsrock und den militant-rechtsextremen Gruppen. Eine Zeit, die geprägt war von Hass, Gewalt, Größenwahn – und dem Militärischen Abschirmdienst. Das ist der zweite Teil der dreiteiligen Reihe. Lesen Sie auch Teil eins.

Zwischen den Welten

Nach der Bundeswehrzeit ging ich zurück zu meinen Eltern und arbeitete als Handwerker, womit ich auch ohne Ausbildung schon gutes Geld verdiente. Obwohl ich das Abitur abgelegt hatte, kam ein Studium in meinem damaligen Umfeld nicht in Betracht. Es passte irgendwie nicht. In dieser Zeit pendelte ich zwischen Wohnort und Kameraden. Die Freizeitgestaltung drehte sich nach und nach komplett um die Weltanschauung. Das Clubhaus einer rechtsextremen Bruderschaft wurde zu einem zweiten Zuhause. Insofern ist es rückblickend nicht unlogisch, dass ich Prospect [=Anwärter auf eine Vollmitgliedschaft] wurde. Damals jedoch empfand ich es als Überraschung. Die Gruppe zählte sich zur Elite. Hier fragt man nicht, ob man Anwärter werden möchte. Man wartet, bis man gefragt wird. Von nun an gab es für mich quasi nichts anderes mehr als die Bruderschaft. Über die Konsequenzen, was das auch für mich bedeuten könnte, darüber dachte ich zu diesem Zeitpunkt nicht nach.

Treffen, Absprachen etc. – all das fand im Clubhaus statt. Dabei ging es größtenteils um szenetypische Dinge: Welche Band spielt wann und wo? Welche gemeinsamen Aktionen stehen an? Welche Konzerte besuchen wir? Vieles klingt auffällig normal, solange man den ideologischen, neonazistischen, Unterbau nicht beachtet.

Trainieren für den Bürgerkrieg

Wenn wir etwa in die Schweiz, oder nach Tschechien fuhren, ging es nicht selten an den Schießstand. Für wen diese Schießübungen nun eine Art Training für den Ernstfall waren und wer es eher als Freizeitaktivität betrachtete, vielleicht sogar nur mitmachte, weil es dazugehörte, lässt sich im Nachhinein nur schwer ergründen.

Selbstverständlich sammeln sich in diesen Kreisen viele, die sich für einen vermeintlich bevorstehenden „Rassenkrieg“ vorbereiten, die ihre Keller mit Trockennahrung füllen und sich an der Waffe ausbilden. Bewaffnung ist in diesen Kreisen immer ein Thema, sie ist Bestandteil der allgegenwärtigen Propaganda. Ein bewaffneter Bürgerkrieg wird an den Abenden diskutiert und in der Musik besungen.

Vor allem aufgrund der Anschläge, die von rechtsextremen Tätern oder Gruppen in der Vergangenheit verübt worden sind, ist man da über die Jahre allerdings in der Auslebung vorsichtiger geworden. Man wähnt sich unter besonderer Beobachtung. Ermittlungen, vor allem Hausdurchsuchungen und Verhaftungen, will man grundsätzlich vermeiden – da man sich naturgemäß jedoch immer mindestens am Rande der Legalität bewegt, können sie aber immer vorkommen. Darum ist man besser beraten, auf den Besitz von Waffen zu verzichten. So werden sie in der organisierten Szene nicht, wie man es vielleicht aus Spielfilmen kennt, unter dem Kopfkissen oder hinter einer Hakenkreuzflagge deponiert, sondern irgendwo außerhalb. So, dass eine Rückführbarkeit auf einzelne Personen oder Gruppierungen bestmöglich verhindert wird.

Die Bruderschaft, in der ich war, genoss in der Szene eine erhebliche Reputation. Auf die rechtsextreme Musikszene bezogen hatten bruderschaftsähnlich organisierte Gruppen oft eine Vorbildfunktion. Zum Beispiel, wenn es um Kontakte zu internationalen Strukturen oder Bands, aber auch bundesweite Vernetzungen geht, sind Bruderschaften häufig ein relevanter Ansprechpartner. Und die Strukturen sind nicht selten langlebig. Das Verbot der Gruppierung Blood and Honour etwa sorgte nicht dafür, dass diese sich auflöste. Man hatte kein Clubhaus mehr und konnte auch nicht mehr öffentlich unter den Zeichen der Gruppe in Erscheinung treten, aber die Personen waren natürlich noch in der Szene. Man sich dann in anderen, mitunter bekannten Szenekneipen, oder in den Clubhäusern anderer Bruderschaften.

Die Macht der Clubs

Eine wichtige Rolle kommt den Clubs bei der konkreten Umsetzung von Konzerten oder anderen Veranstaltungen zu. Zum Beispiel, wenn sie ihre Räumlichkeiten für politische Veranstaltungen zur Verfügung stellen. Meist handelt es sich hier um gekaufte Immobilien oder um gemietete Räume, wobei sich die Vermieter oft nicht wirklich darum kümmern, wer sich da eigentlich einmietet. Aber auch andere rechtsextreme Gruppen oder Parteien, nutzen wiederum den Einfluss dieser Bruderschaften, um mit deren Hilfe Festivals zu organisieren, nehmen Ordnerdienste in Anspruch, oder sie wollen ganz einfach das gewinnorientierte Ausschenken von Getränken abdecken. Es wird deutlich, dass rechtsextreme Parteien oder andere Gruppen aus der Szene gerne die „Dienste“ und Beziehungen dieser Clubs für sich nutzen.

Hinzu kommt der vorauseilende Ruf der Gewaltbereitschaft einiger Mitglieder, der mitunter dabei hilft, den eigenen Mythos zu entwickeln. Insbesondere, wenn es um Türsteherjobs bzw. Ordnerdienste bei Konzerten geht. Dort stellen sie nicht selten das Personal für die Ordner, den Saalschutz. Auch die Verbindungen mit der Musikszene sind natürlich besonders relevant. Einige Konzerte könnten ohne die Mitwirkung und ohne die Einbindung bestimmter Bruderschaften nicht stattfinden. So finden der Rechtsform nach sowohl geschlossene Treffen statt, wie etwa das „Hammerfest“ der Hammerskins, das nur für Mitglieder bestimmt ist – oder teiloffene Veranstaltungen, bei denen Bands aus dem Umfeld der jeweiligen Clubs auftreten. Lädt man zum Beispiel die „Lunikoff-Verschwörung[1] ein, kommt man an den Vandalen aus Berlin nicht vorbei. Hinter den Kulissen sieht es dabei alles andere als rosig aus.

Spaltung, Missgunst & Betrügereien

Trotz der Gemeinschafts-Mentalität erlebte ich immer wieder, dass die vermittelte Einigkeit trügt. Viele arbeiten dort gegeneinander. Ein ständiges Säbelrasseln, verbunden mit einer „Wir-sind-etwas-Besseres-Attitüde“ aller Beteiligten. Nach außen versucht man eine eingeschworene, quasi bedingungslos solidarische Gemeinschaft darzustellen. Intern finden sich dieselben Spaltungen wie in der restlichen rechtsextremen Szene. Zwar verfügt man über klare Hierarchien innerhalb der Clubs und in manchen Gruppen, mit Blick auf die rechtsextreme Szene in Deutschland kann man jedoch nicht von einem funktionierenden Gesamtgefüge sprechen. Dafür sind die Konflikte und Streitigkeiten untereinander zu stark.

Als ich begann, mich und mein Leben zu hinterfragen und hinter die Fassade zu blicken, merkte ich doch recht schnell, dass vieles nur ein Gemisch aus Selbstinszenierung und Selbstdarstellung ist. Dieser Eindruck ist unter länger aktiven Neonazis bzw. Ausgestiegenen auch keine Seltenheit.

Die rechtsextreme Musikszene

Musik war für mich und  mein damaliges Umfeld immer wichtig. Nicht als sogenannte „Einstiegsdroge“, vielmehr war sie der ideologische Zement, der die Mauer der Weltanschauung zusammenhielt und festigte. War Musik in meiner Jugend noch ein Medium der Rebellion, so wurde sie mehr und mehr zu einem Kosmos der Bestätigung und Legitimation. Rechtsextreme Musik erfüllt aber bei Weitem nicht nur die Funktion des ideologischen Unterbaus: Hinter den Kulissen geht es um Geld und Einfluss, von dem unter anderem Bruderschaften profitieren, wenn sie in Umsetzung oder Organisation eingebunden sind. Wer da nun in welchem Umfang genau welche Gewinne erzielt, lässt sich nur schwer beziffern. Insbesondere in der Musik- und Konzertbranche war nicht immer klar, wo welches Geld am Ende landet. Es wurden zwar hier und da Verträge geschlossen, aber innerhalb der Szene musste man sich doch größtenteils auf das Wort verlassen. Im Streitfall zählt das Recht des Stärkeren. Ähnlich funktioniert es auch mit dem Tonträger-Verkauf. Es gibt zwar vereinzelt schriftliche Vereinbarungen zwischen Band und Label, häufiger bleibt es jedoch bei mündlichen Absprachen. Wer will sich schon mit seiner Unterschrift für eine potentiell strafbare CD haftbar machen? Manche denken auch eher an die Steuerfahndung, man bewegt sich immer in einer Grauzone. Und selbst, wenn mal hochoffizielle Verträge mit eigentlich klar formulierten Vereinbarungen bestehen: Wieviele CDs tatsächlich gepresst und verkauft werden, wissen nur die Labels.

Ferdinand* kam schon in jungen Jahren mit der rechtsextremen Szene in Kontakt. Gespeist aus einseitigem Interesse an Militärgeschichte und Heldenverehrung radikalisierte er sich immer weiter. Er war Mitglied in unterschiedlichen Kameradschaften und Gruppierungen. Gewalt war zu dieser Zeit ständiger Begleiter. Schließlich endete seine Odyssee mit dem Ausstieg aus einer rechtsextremen Bruderschaft. Hier berichtet er von dieser Zeit zwischen Bundeswehr, Rechtsrock und den militant-rechtsextremen Gruppen. Eine Zeit, die geprägt war von Hass, Gewalt, Größenwahn - und dem Militärischen Abschirmdienst.

Ich erinnere mich noch gut an ein Konzert, das ich mitorganisierte. Einen Raum zu finden, in dem wir es umsetzen konnten, war nicht leicht. Wir verfügten über keine eigenen Räumlichkeiten, also mussten wir uns welche mieten. Konkret lief das zum Beispiel so, dass wir über einen Strohmann einen linken alternativen Jugendclub angemietet haben. An diesem Abend sollten drei Bands spielen. Gegen eine der Bands, die dort auftreten sollte, liefen aber Ermittlungen. Um Probleme für sich und den Veranstalter zu vermeiden, entschied die Band, vermummt aufzutreten. Als im Nachhinein publik wurde, dass dort ein rechtsextremes Konzert stattfand, gab es natürlich Diskussionen. Auch an diesem Abend kamen alternativ aussehende Jugendliche dort hin, die, als sie uns gesehen haben, verwundert wieder gingen. Das Veranstalten des Konzertes an diesem Ort sollte natürlich auch als Provokation verstanden werden. Es war ein „Sieg“ für uns, dass wir da so ein Ding abziehen konnten. Auch wenn es in dieser Form nur einmal war.

Insgesamt muss man in der Szene zwischen zwei Arten von Konzerten unterscheiden: Die meisten Musikveranstaltungen finden in geschlossenen Räumen, als geschlossene Veranstaltung, statt.

Es gibt aber seit einigen Jahren auch die Versuche, größere Festivals zu veranstalten. Dabei handelt es sich um Konzerte, die im Vorfeld angemeldet werden. Man reicht die Liedtexte ein, diese werden von den Behörden geprüft und die Listen werden während des Konzertes laufend kontrolliert. Darauf, ob es in der tatsächlichen Setlist Abweichungen gibt.
Die konspirativ organisierten Konzerte sind meiner Wahrnehmung nach etwas zurückgegangen, zumindest was große Veranstaltungen in Deutschland anbelangt. Dort werden dann andere Texte genutzt und andere, auch indizierte bzw. verbotene Lieder gesungen, da dort die Polizei nicht präsent ist. Diese Konzerte finden natürlich auch noch statt und man versucht, sich da abzusichern. Wird die Polizei darauf aufmerksam, sagt man, dass es sich dabei um eine Geburtstagsfeier handelt. Um sicherzugehen, werden diese Konzerte dann nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich gemacht und auf Privatgrundstücken organisiert, wo die Polizei in der Regel Schwierigkeiten hat, etwas zu unternehmen. Hinzu kommt, dass es meistens schon sehr spät ist, wenn die Konzerte bemerkt werden. Geht dann eine Meldung bei der Polizei ein, kann oftmals kein Verantwortlicher seitens der Justiz so schnell ein Verbot des Konzertes erwirken, oder überhaupt ausreichend Polizeikräfte bündeln. Bei dieser Art von Konzerten wird zum Beispiel nur mitgeteilt: in Ort A ist an Tag B eine Geburtstagsfeier mit Überraschungsband. Dies bedeutete für uns, dass dort diese oder jene Bands spielen könnten. Das wird dann in vertrauten Kreisen weitererzählt. Dabei kann es schon mal vorkommen, dass die Polizei davon erfährt. Die machte daraufhin vielleicht Verkehrs- und Personenkontrollen, aber in der Regel kamen am Ende trotzdem alle rein. Gerade in ländlichen Regionen mit geringer Polizeipräsenz ist es dann kaum mehr möglich eine entsprechende Maßnahme umzusetzen. Vor Ort haben die Einsatzkräfte da wenig Möglichkeiten.

Bruderschaft

Bruderschaften verstehen sich als Elite innerhalb der rechtsextremen Szene. Anders als zB rechtsextreme Kleinparteien, sehen sie sich nicht als klassischer politischer Akteur. Es gibt dort Leute, die halten sich aus klassisch politischen Angelegenheiten und Gesprächen zum größten Teil raus. Die sind halt da und Teil des Clubs, beteiligen sich aber nicht an weltanschaulichen Diskussionen. Und es gibt welche, die philosophieren sehr viel über Politik. Rund um die Uhr. Diese nehmen ihre Umgebung ja als äußerst gefährlich und bedrohlich wahr, daher deuten sie viele Geschehnisse von außerhalb auch als eine Verschwörung. Dann diskutiert man beispielsweise über einen Dammbruch der Elbe in der Nähe von Dresden bei einem Hochwasser und kommt dann zu dem Schluss, dass das gewollt, dass es Vorsatz war. Andere tagesaktuelle Themen werden gern schnell aufgeputscht und diskutiert. Am Ende sieht man sich in aller Regel dann mit einer imaginierten Verschwörung konfrontiert, die dann als Legitimation für die eigene Gewaltbereitschaft und Militarisierung dient.

Grundsätzlich muss man rechtsextreme Bruderschaften als politische Gruppierungen verstehen. Politik ist die Basis der Gemeinschaft. Sie bestimmt den Geist der Gruppe, ist in deren DNA. Das bedeutet aber nicht, dass man in den eigenen Räumen zwangsläufig auch offensichtlich verfassungsfeindliche Symbole an der Wand hängen hat. Das habe ich zumindest so nicht erlebt und es war auch nicht erwünscht. Einer der Gründe: In der Szene rechnet man immer mit Durchsuchungen von Clubräumen, da wären solche Vorfälle ein leichtfertig gegebener Anlass für Strafverfolgungsbehörden, möglicherweise gar umfangreiche Ermittlungen einzuleiten. Die Polizei hätte ja alleine schon wegen einer einfachen Ruhestörung damals vorbeikommen und aufgrund sichtbarer verbotener Symbole etc. eine groß angelegte Razzia damit begründen können, bei der man dann vielleicht noch andere Dinge findet oder Gründe für ein Verbot der Gruppe sammelt. Also versucht man, vergleichbare Situationen bestmöglich zu vermeiden.

Der Anspruch, zur Elite zu gehören, hat zur Folge, dass man bei seinen Mitgliedern aufgrund der Außendarstellung auf bestimmte Dinge besonders achtet. So kann man bei einigen Clubs  nicht einfach Mitglied werden, weil man es will. Mittlerweile suchen sich diese bewusst bestimmte Personen heraus und sprechen diese dann an. Auch, weil zu viel auf dem Spiel steht und die Konspirativität jederzeit sichergestellt bleiben muss. Nicht zuletzt deshalb, weil einige dieser Clubs zusätzlich intensiv mit der Organisierten Kriminalität verbunden sind.

Zudem versucht man nach außen ein gemäßigtes Bild zu präsentieren, wenngleich das nicht dem Selbstverständnis entspricht. So geht man vielerorts bewusst nicht mehr mit der Kutte auf Demonstrationen. Da soll und will man den Eindruck erwecken, friedlich zu sein und eben nicht militant. Das Kalkül dahinter: Man will ansprechbar und anschlussfähig im politischen und gesellschaftlichen Sinne sein.

Die Kommunikation über Symbole, die Mitgliedschaft und Zugehörigkeit signalisiert, richtet sich an den eigenen Kreis. Das hat zur Folge, dass die Mitglieder dieser Gruppe in „ziviler Kleidung“ nicht als Solche erkannt, ihre Strukturen nicht sichtbar werden. Kurzum: Kontrollen und Konflikte mit Strafverfolgungsbehörden können durch den teilweisen Verzicht auf Clubkleidung umgangen werden.

Ferdinand* kam schon in jungen Jahren mit der rechtsextremen Szene in Kontakt. Gespeist aus einseitigem Interesse an Militärgeschichte und Heldenverehrung radikalisierte er sich immer weiter. Er war Mitglied in unterschiedlichen Kameradschaften und Gruppierungen. Gewalt war zu dieser Zeit ständiger Begleiter. Schließlich endete seine Odyssee mit dem Ausstieg aus einer rechtsextremen Bruderschaft. Hier berichtet er von dieser Zeit zwischen Bundeswehr, Rechtsrock und den militant-rechtsextremen Gruppen. Eine Zeit, die geprägt war von Hass, Gewalt, Größenwahn - und dem Militärischen Abschirmdienst.

Unbesiegbar

Alles, was ich bis hierhin umschrieben habe, war für mich damals vollkommen normal. Alltäglich. Ich war Teil dieser Gruppe und -ohne es zu merken- veränderte es auch mich. Heute muss ich klar sagen, dass ich größenwahnsinnig war. Und ich war sicherlich nicht der Einzige. Zu dieser Zeit behandelte ich so viele andere Menschen von oben herab, was mir aber erst danach bewusst wurde. Ich dachte, ich wäre unbesiegbar. Ich hatte meinen Status. Ich hatte meine Bruderschaft. Ich war jemand. Die Anderen waren nicht in dieser Position.

Im Nachhinein ist mein Eindruck, dass wir ganz konkret das Gefühl hatten, machen zu können, was wir wollen. Und viel zu oft setzten wir das genauso um. Wir haben uns einfach gefühlt und verhalten, als wären wir etwas Besseres und hätten eine Sonderrolle mit Sonderrechten.

Diese Attitüde konnte man aber nicht innerhalb des Clubs an den Tag legen. Hier waren die Hierarchien klar verteilt. Umso stärker lebte ich es damals außerhalb der eigenen Gruppe aus. Das Gefühl, etwas Besseres zu sein, haben wir die Anderen spüren lassen. Auch bei unseren „eigenen Leuten“, also eigentlich Personen, die einem, rein weltanschaulich betrachtet, grundsätzlich nahestanden. Bei denen jedoch, die wir als politischen Feind definiert hatten – oder bei der Polizei -, da blieb es nicht nur bei Abfälligkeiten. Ich dachte damals, ich sei unbesiegbar und „der Andere“ nichts wert.

Besonders bestimmend war dieses Gefühl bei Demonstrationen, an denen ich häufig teilnahm. Die meisten aus meinem alten Umfeld haben das nicht gemacht. Sie sahen darin keinen Sinn, oder haben die Öffentlichkeit grundsätzlich gemieden. Demonstrationen gegen (und in der Nähe von) Flüchtlingsunterkünften zum Beispiel, das waren Situationen, die wir nutzten, um einzuschüchtern und präsent zu sein. Auch neben Aufmärschen war mir Politik immer wichtig, wenngleich es nicht die Tagespolitik war, sondern eher Politik als Weltanschauung. Demonstrationen gehörten für mich dazu. In diesem Zusammenhang geriet ich auch mit der Antifa aneinander – zwei, drei Mal. Aber die meisten Auseinandersetzungen in die ich involviert war, waren Kneipenschlägereien ohne politischen Zusammenhang. Aus der heutigen Perspektive betrachtet war es klassisches Platzhirsch-Verhalten. Im Sinne von „das ist unsere Stadt, hier haben wir das Sagen“. Sicherlich waren wir bei der Polizei vorsichtiger und achteten akribisch darauf, einen Polizisten nicht zu offensichtlich zu beleidigen. Das hätte ja eine Anzeige zur Folge gehabt. Aber ernst genommen haben wir damals kaum jemanden. Eigentlich war es immer die Suche nach einem neuen Weg, um es auf die Spitze zu treiben. Aus diesem Gefühl und den umschriebenen Situationen, gepaart mit der ideologischen Aufladung, entstand Gewalt. Und die gab es zu dieser Zeit ständig.

„Gewalt gab es ständig“

Fast jede Kneipe bot einen Anlass, sich zu schlagen. Vor allem, wenn wir in bestimmte Orte gingen, dauerte es nicht lange, bis es zu Konflikten kam. Man musste dafür nicht einmal von vornherein mit der Intention auftreten, eine Schlägere zu provozieren. Es endete oft entsprechend. Manchmal wollten wir uns einfach testen. Ich bin zu dieser Zeit regelmäßig zum Sport gegangen. Boxen, MMA und Kraftsport – Alles, was so ging. Ich trainieret, wie damals sagten „für die Straße“. Wir wollten vorbereitet sein. Für was auch immer passiert – Bürgerkrieg oder Regierungssturz. Die Trainingseinheiten waren intensiv. Mehrmals die Woche. Am Wochenende wollten wir das gelernte ausprobieren. Quasi wie eine Versuchsreihe, so verschroben, falsch und unmenschlich sich das aus der jetzigen Perspektive auch anhört. Es war für mich normal. Man hat einfach geschaut, was passiert oder ob man sein Gegenüber noch umhauen kann, wenn man etwas getrunken hat.

Es war ein Kräftemessen und das meist ohne Rücksicht – zumindest was das Gegenüber anbelangte. Berauscht von der Gruppe, dem Gedanken einer Elite anzugehören, fühlte ich mich unbesiegbar und nahm überhaupt nicht wahr, was ich alles schon verloren hatte.

Hass, Gewalt und Größenwahn – Niemand interessiert sich für das Offensichtliche Teil 1

Hate, Violence and Megalomania – No One Cares About the Obvious Part 1

*Der dreiteilige Text basiert auf einem durch die Fallbetreuer von EXIT-Deutschland durchgeführtem Interview, aus dem Jahr 2020. Aus Gründen des Personenschutzes wurden Orte und Namen anonymisiert.


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Illustrationen: Fabian Wichmann / Text: Fabian Wichmann und Felix Benneckenstein basierend auf mehreren Interviews mit Ferdinand.

[1] Sänger der in der Einleitung erwähnten, mittlerweile verbotenen Rechtsrockband Landser.