Bekämpfung von gewalttätigem Extremismus: Einsichten von ehemaligen Rechtsextremisten
Von Ryan Scrivens, Vivek Venkatesh, Maxime Bérubé and Tiana Gaudette.
Wie sollte gewalttätiger Extremismus aus der Perspektive von ehemaligen Rechtsextremisten bekämpft werden? Die aktuelle Studie von Ryan Scrivens, Vivek Venkatesh, Maxime Bérubé und Tiana Gaudette gibt darauf Antworten. Die Ausgestiegenen gaben – fußend auf ihren Erfahrungen – an, dass die Verhinderung und Bekämpfung von gewalttätigem Extremismus eine mehrdimensionale Reaktion erfordert, die größtenteils aus der Unterstützung von Eltern und Familien, Lehrern und Erziehern, Strafverfolgungsbehörden und anderen glaubwürdigen Ehemaligen besteht.
In den letzten fünf Jahren sind Praktiker und politische Entscheidungsträger zunehmend daran interessiert, die biografischen Erfahrungen ehemaliger Extremisten zur Bekämpfung des gewalttätigen Extremismus zu nutzen. Auch die Forschung hat ein wachsendes Interesse an diesen Erfahrungen gezeigt, die Wahrnehmung Ausgestiegener zu nutzen, um wichtige Forschungsfragen in der Terrorismus- und Extremismusforschung zu beantworten, einschließlich Studien, die sich zum Beispiel auf Prozesse der Radikalisierung und Prozesse der Distanzierung sowie des Ausstiegs aus dem gewalttätigen Extremismus konzentrieren. Eine andere augenscheinliche Frage, wie Ehemalige denken, dass gewalttätiger Extremismus oder Radikalisierung verhindert und bekämpft werden sollte, stand bis jetzt jedoch nicht im Fokus der Forschung. Um dieser Frage nachzugehen, wurden zehn Interviews mit ehemaligen Rechtsextremisten aus Kanda durchgeführt. Die Interviews basieren auf einer Reihe von Fragen, die von 30 kanadischen Strafverfolgungsbeamten und 10 Praktikern erarbeitet wurden. Die Interviews geben Einblicke in die Erfahrungswelt der Ehemaligen und wie aus ihrer Erfahrung gewalttätiger Extremismus bekämpft werden sollte.
Die Botschaft – Ehemalige Rechtsextreme in der schulischen Bildung
Auf der Suche nach Zugehörigkeit“ – gefährdete Jugendliche und ihr soziales Umfeld
Erstens waren die Ehemaligen in der aktuellen Studie der Meinung, dass vulnerable Jugendliche bei weitem am verletzlichsten und am anfälligsten für Rekrutierung sind. Daher waren die Interviewten der Ansicht, dass Präventionsmaßnahmen primär auf diese Gruppe abzielen sollten. Dies gelte insbesondere für diejenigen, die:
… nach dem Gefühl der Zugehörigkeit suchen und diejenigen sind, die das Gefühl haben, etwas zu verpassen… als ob sie nicht ihr… ihr Stück vom Kuchen bekommen. Ob das nun wirtschaftlich oder sozial ist oder was auch immer, oder ob sie einfach das Gefühl haben, dass sie irgendwo nicht dazugehören, das ist die Zielgruppe [für die Extremismusprävention]. [D]ie passen einfach nirgendwo rein.
Diese Wahrnehmungen decken sich mit früheren Studien, die herausfanden, dass Jugendliche aus prekären Verhältnissen besonders anfällig für extremistische Botschaften und Ideologien sind.
Die schwierigen Fragen zu Hause stellen
Zweitens waren die Teilnehmer unserer Studie der Meinung, dass es verschiedene Schlüsselakteure gibt – darunter Eltern und Familien, Lehrer und Erzieher, die lokale Gemeinschaft und in einigen Fällen auch die Strafverfolgungsbehörden – die eine wichtige Rolle dabei spielen, junge Menschen davon abzuhalten, ähnliche Wege einzuschlagen wie sie selbst. Insbesondere hoben die Ehemaligen hervor, dass Eltern und Familien ihre Kinder als Partner in der Auseinandersetzung dienen können, wenn sie 1. sich selbst in das Leben ihres Kindes einbringen und mögliche Warnzeichen erkennen, die darauf hindeuten, dass ihre Kinder in die rechtextreme Szene einzusteigen drohen, und 2. ein positives und verständnisvolles häusliches Umfeld fördern, das Diskussionen über polarisierende Themen wie Rassismus, Intoleranz und Diskriminierung einschließt. Wie ein Teilnehmer es ausdrückte:
… wenn es mir möglich gewesen wäre, die Fragen [zu Hause] zu stellen (…) wie die politisch unkorrekten, schwierigen, beleidigenden Fragen, die wir, ehrlich gesagt, einfach wissen wollen, wissen Sie (…) wenn wir […] einen Ort gehabt hätten, an dem wir das Gefühl hatten, diese Fragen stellen zu können und eine ehrliche Antwort zu bekommen, ohne gesagt zu bekommen: Nun, du bist eine schreckliche Person, weil du das denkst, dann hätte ich vielleicht einen anderen Weg eingeschlagen.
Ähnliche Empfehlungen wurden für Schulen und in einem kommunalen Umfeld gegeben, wobei die Interviewten betonten, dass Schulen und im weiteren Sinne auch das kommunale Umfeld von Diversität geprägt sein müssen. Jugendliche, auch wenn sie radikale Ansichten vertreten, die nicht dem Mainstream entsprechen, sollten nicht als Person verurteilt werden, da sie sich sonst nur weiter in die Radikalisierung gedrängt werden könnten.
The Role of Freedom and Identity in the Perceived Experiences of Former Right-Wing Extremists
Respekt und Unterstützung
Die Ehemaligen merkten auch an, dass die Strafverfolgungsbehörden dazu beitragen können, Jugendliche davon abzuhalten, sich zu radikalisieren. Die Interventionen der Strafverfolgungsbehörden, sollten auf einer Ebene des gegenseitigen Respekts beruhen und dabei frei von Urteilen und Vorurteilen sein. Ein Interviewpartner dazu:
... mit Bezug auf die Polizisten, würde ich raten, sich nicht feindselig zu nähern, weil sie skeptisch sein werden, richtig? […] Versuchen Sie stattdessen… Versuchen Sie, Leute zu finden, wenn sie alleine gehen oder nur ein oder zwei von ihnen und halten Sie einfach an und sprechen Sie sie an, „Hey, was ist los?“ und versuchen Sie, freundlich zu sein. […] Es ist einfach dieses, gib Respekt und du bekommst Respekt Ding.
Viele dieser Ansichten spiegeln die Ergebnisse früherer Untersuchungen wider, die die Bedeutung von sozialer und/oder familiärer Unterstützung und Aufmerksamkeit, verbunden mit Offenheit für kritische Diskussionen, bei der Prävention von gewalttätigem Extremismus hervorheben.
‚Glaubwürdige‘ Ausgestiegene als Berater
Drittens ging es den Befragten in unserer Studie bei der Diskussion über Möglichkeiten, der Radikalisierung entgegenzuwirken, vor allem darum, anderen beim Ausstieg zu helfen. In diesem Zusammenhang vertraten sie die Meinung, dass Ehemalige zentrale Akteure bei der Ausstiegshilfe sein sollten – ein Befund, der durch die Forschung zur Psychologie der Viktimisierung und zum Prozess der Deradikalisierung weitgehend unterstützt wird. Bei der Erörterung der Rolle der Ehemaligen in diesem Zusammenhang wurde in den Interviews jedoch deutlich die Notwendigkeit der Entwicklung einer Infrastruktur hervorgehoben. Die Struktur haben die Interviewpartner als 1. ein Team von „glaubwürdigen“ und „engagierten“ Ehemaligen beschrieben, die bereit sind, die Zeit zu investieren, um andere beim Ausstieg zu unterstützen, und 2. einem diversen Team von Praktikern und Praktikerinnen, die diese Ehemaligen dabei unterstützen, Menschen beim Ausstieg zu helfen.
Worauf sich die Teilnehmer unserer Studie hier bezogen ist das, was in der Terrorismus- und Extremismusforschung z.B. als multisektorale Ansätze zur Bekämpfung von gewalttätigem Extremismus konzeptualisiert wurde. In der Tat ist Extremismus ein komplexes und vielschichtiges Phänomen, das sowohl auf individuellen als auch auf gesellschaftlichen Bedingungen beruht. Initiativen zur Prävention und Bekämpfung von Extremismus müssen daher multidimensional sein und auf den Stärken und der Expertise verschiedener Fachbereiche und Erfahrungen aufbauen, einschließlich – aber nicht beschränkt auf – lokale Gemeindeorganisationen, Polizeibeamte und politische Entscheidungsträger. Mit anderen Worten: Bemühungen zur Bekämpfung (und Prävention) von gewalttätigem Extremismus können nicht nur als eine Frage der Strafverfolgung oder der Nachrichtendienste betrachtet werden. Es ist ein gesellschaftliches Problem. Folglich sollten Strafverfolgungsbehörden mit verschiedenen lokalen Akteuren, Menschenrechtsaktivisten und der Wissenschaft zusammenarbeiten und Wissen und Ideen zur Verbesserung und/oder Entwicklung von Präventions- und Interventionsinitiativen zu generieren.
Warnsignale
Schließlich waren die in unserer Studie befragten Ehemaligen der Meinung, dass sie sich in einer einzigartigen Position befinden, in der sie Verantwortungsträger und Experten sowie die Communities darüber aufklären können, was Jugendliche radikalisiert und was Extremismus für diese interessant macht. Weiterhin können sie Wissen über die Faktoren vermitteln, die Extremismus hervorrufen und minimieren. Die Ehemaligen merkten auch an, dass sie die Alarmzeichen für eine drohende Radikalisierung frühzeitig erkennen und sie glauben, dass sie damit anderen helfen können, diesen Weg zu verlassen – vorausgesetzt, es besteht die dafür notwendige Infrastruktur. Insgesamt argumentierten die Ehemaligen, dass die Bekämpfung von gewalttätigem Extremismus nur möglich ist, wenn die ihrer Meinung nach geeigneten Akteure an einem Tisch sitzen.
Um mehr über die Ergebnisse und die Studie im Allgemeinen zu erfahren, empfehlen wir, das vollständige Manuskript zu lesen, das in der Zeitschrift Studies in Conflict & Terrorism veröffentlicht wurde.
Autors
Ryan Scrivens is an Assistant Professor in the School of Criminal Justice at Michigan State University. He is also an Associate Director at the International CyberCrime Research Centre at Simon Fraser University, a Research Fellow at the VOX-Pol Network of Excellence, and an Associate Fellow at the Global Network on Extremism and Technology. His research has been funded by Public Safety Canada, the Canadian Network for Research on Terrorism, Security and Society, and VOX-Pol. More about the author
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