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„Haut, Stein“ – Vom Nationalsozialismus markiert

Von Maik Scheffler.

Anlässlich des 76. Jahrestages der Befreiung der Konzentrationslager Buchenwald und Mittelbau-Dora präsentierte der Fotograf und Künstler Jakob Ganslmeier zusammen mit EXIT-Deutschland in Weimar eine Fotodokumentation über den Umgang mit nationalsozialistischen Symbolen im öffentlichen Raum und auf der Haut. Bilder mit in Stein gemeißelten Reichsadler, Hakenkreuze als Ornamente oder einer Vielzahl an Runen an öffentlichen Gebäuden. Demgegenüber eingestochene Symbole als Tattoo von ehemaligen Neo-Nazis, Rechtsradikalen, wie auch immer man sie bezeichnen will. Beide Ebenen, „Haut, Stein“ haben dabei vieles gemein. Sei es die Symbolkraft nach außen, in Form und Ausdruck oder das ideologische Bekenntnis. Sie erdrücken die Gegenwart mit der Vergangenheit und wecken Erinnerung an vergangene Zeiten und dunkle Stunden. Sie markieren als vermeintlich auserwählt, präferiert und zeigen gleichzeitig die Gefahr und Größenwahn einer Ideologie, die bereit ist, gnadenlos bis zum Äußersten zu gehen. Aber sie können auch Zeichen der Veränderung sein, wenn sich das Individuum oder die Gesellschaft sich mit der eignen Vergangenheit und Herkunft auseinandersetzt.

In dieser Ausstellung von Jakob Ganslmeier geht es um das Danach, den Umgang mit dieser Symbolik und den Blick auf die Entnazifizierung und Abkehr. Es sind die stummen Zeitzeugen aus Stein und im Fall der ausgestiegenen Neo-Nazis in der Gegenwart aus Haut und Fleisch. Fleischgewordene Träger dieser Ideologie bis zu dem Moment des Ausstiegs.

Kontrapunkt zur NS-Geschichte

Markiert

Ich bin einer dieser ehemaligen Neo-Nazis, ein vom Extremismus markierter Ehemaliger. Ich war Teil dieser Szene und habe mich bewusst für den Ausstieg entschieden. Mit Unterstützung habe ich mich – wie auch andere Ausgestiegene vor und nach mir – von dieser Symbolik nationalsozialistischer Menschen- & Freiheitsfeindlichkeit befreit. Es sollte eine Befreiung werden, die mehr als ein simples Verdecken oder Vertuschen ist. Eine Befreiung durch einen Prozess der Auseinandersetzung! Symbol-Tätowierungen, welche als Markierung in grotesker Weise für mich „hervorheben und abgrenzen“ gleichermaßen symbolisiert haben, gehen mehr als nur unter die zwei Hautschichten des Körpers. Sie gehen in die Psyche, in den Blick und werden früher oder später Bauplan einer tief greifenden Radikalisierung. Die Entfernung als Entsymbolisierung und Entwertung solcher Tätowierungen ist ein notwendiger Prozess im Ausstieg. Er beginnt mit der inhaltlichen Auseinandersetzung ihrer Entstehung und Bedeutung und endet mit dem unwiderruflichen Ersetzen eines ideologischen Fehlers durch klare Bekenntnisse zu Freiheit, Demokratie und Menschlichkeit.

Helden der Kampfzeit

Ich erinnere mich noch genau an die Bedeutung meines ersten Tattoos auf dem Rücken. Es wurde mir im damaligen Kameradschaftsheim auf einer Liege direkt neben der Bar gestochen. Einige Kameraden schauten stolz und anerkennend auf mich, weil ich – so dachten wir damals – mich zur gemeinsamen Weltanschauung mit Blut bekannte. Andere schauten neidisch ehrfurchtsvoll über meinen Mut, den sie selbst noch nicht hatten. Ich selbst fühlte mich durch diese Blicke aufgewertet und ernstgenommen – zugehörig. Ich gehörte nun gut sichtbar dazu und mein Selbstwertgefühl strahlte wahnsinnig. Ich grenzte mich von den vermeintlich Schwachen ab und hob mich in meinem gleichgesinnten Umfeld hervor. Meine Rekrutierung mit Anfang 20 erfolgte zu starkem Anteil auf einer manipulierten Identifizierung mit den nationalsozialistischen Tugenden und Aufopferungen der sogenannten „Helden der Kampfzeit“, der Zeit des Aufstieges der NSDAP und dem Soldatentum des ersten und Zweiten Weltkrieges, den Landsern. Die gleichnamige Rechtsrockband der 90er und 2000er-Jahre hämmerte mir mit brachialer Aggressivität eine Ideologie ins Hirn, welche ich widerstandslos hinnahm und welche immer mehr Besitz von mir nahm. Also ließ ich mir in diesem Sinne in Fraktur „Landser“ auf meine Schulter tätowieren. Als unveränderliches Zeugnis meiner tiefen Treue zum Nationalsozialismus, so dachte ich zumindest.

Nach fast zwei Jahrzehnten als Neo-Nazi und meiner Reflexion auf Getanes und Gesagtem im Prozess des Ausstieges, brannte dieses Symbol einer vernichtenden Ideologie wie Feuer auf meiner Haut.

Die Ausstellung „Haut, Stein“ in Weimar

In der Tradition der Barbarei

Gleiches galt für das Patch auf meiner Brust. Zwei gekreuzte Hämmer über einem Zahnrad auf einem roten Wappen. Das Logo der Hammerskins. Eine neonazistische Vereinigung, die sich als Elite der Szene versteht. Es war für mich die Markierung der höchsten Form eines Extremismus im Extremismus. Das Bekenntnis und die offizielle Anerkennung durch und zu einer europäischen Bruderschaft, einer Elite, die sich in der Tradition der SA oder später die SS verstanden hat.

Ich erinnere mich an die Zeit meiner Anwärterschaft. Ähnlich wie bei bekannten Rockerklubs bedeutete es unter Aufgabe des eigenen Lebens und dem Ablegen jedweder individuellen Ansprüche die unhinterfragte Hingabe für die verschworene Elite. Nach zwei harten Jahren der Anwärterschaft wurde ich feierlich als Member aufgenommen und durfte nun das Tattoo als Symbol meiner Mitgliedschaft auf meiner Haut tragen. Ich empfand es wie die Siegrunen an der Uniform der Waffen-SS – den geistigen Urvätern solcher Bruderschaften. Als ich im Ausstiegsprozess erkannte, in welche absurde, aber auch hochgefährliche Tinktur aus Verpflichtung und Verbindlichkeit ich mich teufels-vertraglich begeben hatte, war jeder Blick in den Spiegel und jeder gefühlte Blick meiner Umwelt auf mich wie ein Aufwachen aber nicht entrinnen können aus einem Albtraum. Man fühlt sich leer, das Selbstwertgefühl nahm implosionsartig ab und der Blick aufs Tattoo vermittelte nicht mehr den Stolz aus der Vergangenheit. Aus dem Symbol der Zugehörigkeit wurde ein Stigma einer grauen Vergangenheit.

Grautöne

Grau wie die Fotowände des Künstlers Jakob Ganslmeier. Auch wenn die Architekturbilder der Stein-Serie schwarz-weiß sind, können die Antworten auf die Fragen, die die Ausstellung aufwirft, nicht schwarz-weiß sein. Wir bewegen uns mit diesen Symbolen in einer Grauzone. Es ist nicht immer zu erkennen, ob die Symbole bewusste Mahnung und Erinnerung sind oder schlicht vergessen wurden und nicht mehr wahrgenommen werden. Oder ist es die heimliche Sympathie mit diesem dunklen Kapitel der deutschen Geschichte?

Nicht alles ist verboten, vieles kann codiert genutzt werden, ohne dabei an Symbolik zu verlieren und oft fühlt sich niemand richtig zuständig, warnt zielgruppenorientiert davor oder möchte es gern ignorieren. Getreu dem Motto: Wenn ich nicht hinsehe, ist es nicht da. Auch ich habe lange nicht hingesehen und war mir der Symbolkraft und der Bedeutung nicht mehr bewusst. Der erneute Gang zur Liege und somit zum Tätowierer war der physisch und psychisch schmerzhafte letzte Part des Ausstiegsprozesses. Das Gefühl der Befreiung begründet sich in der Erkenntnis, dass Symbolik gleichschwer wiegt wie die Ideologie selbst.

 


Maik Scheffler ist für EXIT-Deutschland im Rahmen der Raum- und Szeneanalyse tätig. 2015 ist er nach 17 Jahren aus der rechtsextremen Szene ausgestiegen in welcher er erst als Netzwerker innerhalb der Kameradschaftsszene wirkte und ab 2009 dann die NPD in Sachsen und im Sächsischen Landtag organisierte. Bis 2014 war er stellvertretender Landesvorsitzender dieser Partei. Heute coacht er verschiedenste Multiplikatoren im sozialpädagogischen und exekutiven Bereich, wie z.B. Lehrerschaft, Freiwilligendienste und Polizei. Neben Exit hat er eine pädagogische Ausbildung absolviert und ist heute in leitender Tätigkeit des Sächsischen Verbandes für Jugendarbeit.


 

Podcast zur Aussstellung

Die Ausstellung auf dem Stéphane-Hessel-Platz in Weimar können sich Interessierte vom 8. April bis zum 16. Mai anschauen. Ab dem 18.05.2021 ist die Ausstellung auf dem Nikolaiplatz in Nordhausen zu sehen.

Seit Jahresbeginn richtet der Blog #otd1945 („on this day 1945“) auf liberation.buchenwald.de Tag für Tag den Blick auf einzelne Geschehnisse in den ehemaligen Konzentrationslagern Buchenwald und Mittelbau-Dora und macht damit auf das diesjährige Gedenken aufmerksam. Im April ist über das Onlineportal ein vielfältiges digitales Programm anlässlich des 76. Jahrestages der Befreiung zugänglich. 

Mehr zur Ausstellung in Kooperation mit der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora: www.liberation.buchenwald.de

Mehr zum Thema Ausstieg, aktuelle Informationen zur Ausstellung, Buchungsanfragen und Ausstellungstermine findet ihr unter: www.jakobganslmeier.com | mail@jakobganslmeier.com sowie www.exit-deutschland.de |  info@exit-deutschland.de

 

Eine Initiative der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora in Zusammenarbeit mit Jakob Ganslmeier und EXIT-Deutschland.

 

Mehr zur Ausstellung: Haut, Stein

Rezension: Haut, Stein