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Entwicklung von internationalen Leitlinien in der Prävention von gewalttätigem Extremismus

By Dr. Gordon Clubb.

Fortschritte bei der Prävention und Bekämpfung von gewalttätigem Extremismus: Einigung auf Mindeststandards für den Einsatz von Ausgestiegenen.

Warum sind Standards für die Einbeziehung ehemaliger Extremisten notwendig?

Seit über einem Jahrzehnt werden ehemalige Extremistinnen und Extremisten – oft auch als „Ausgestiegene“ bezeichnet – aktiv in die Prävention von Extremismus einbezogen. Diese Maßnahme dient der Prävention, um zu verhindern, dass sich Menschen weiter radikalisieren oder überhaupt radikalisieren. Diese Praxis ist jedoch nicht unumstritten, da sie potenziell negative Folgen für die involvierten Ausgestiegenen, für Gewaltpräventionsprogramme sowie für die Zielgruppen haben kann. Trotz dieser Kontroversen herrscht Einigkeit über die Notwendigkeit von Standards für den Einsatz ehemaliger Extremistinnen und Extremisten im Bereich Prävention und Intervention. Unser Projekt „Involving Formers: Entwicklung von Standards und Leitlinien für die Prävention und Bekämpfung von gewalttätigem Extremismus“ arbeitet eng mit Praktikern zusammen, um solche Leitlinien zu erarbeiten. Das Ziel des Projektes: Hindernisse beseitigen und den Projekten sowie den Praktikerinnen und Praktikern im Feld Handlungssicherheit zu bieten.

Herausforderungen im Bereich der Prävention und Bekämpfung von gewalttätigem Extremismus (P/CVE)

Der Bereich P/CVE besteht überwiegend aus zivilgesellschaftlichen Organisationen, die international in einem wettbewerbsintensiven Umfeld agieren. Häufig fehlt es an ausreichender Aufsicht und es gibt nur wenige Anreize zur Zusammenarbeit. Diese Rahmenbedingungen erschweren die Identifizierung und Umsetzung gemeinsamer Standards in der Praxis. Obwohl viele internationale Projekte ehemalige Extremisten in ihre Arbeit einbinden, fehlen entsprechende Leitlinien sowie Anreize. Was zur Folge hat, dass erforderliche Unterstützung im Rahmen der Beschäftigung  nicht gewährleistet werden kann. Der Austausch über und die Entwicklung gemeinsamer Standards bietet den Organisationen klare „Leitplanken“ um effizient, vertrauensvoll und risikoärmer zu arbeiten.

Gemeinsames Handeln für den Wandel

Um einen Konsens über die Standards zu erzielen, organisierten wir einen Workshop in Zusammenarbeit mit der New York University. An dem Workshop nahmen 40 Experten und P/CVE-Praktiker teil. Zuvor hatten wir eine Delphi-Studie mit 50 Teilnehmenden durchgeführt. Diese Methode dient dazu, Expertenwissen zu sammeln und Konsensbereiche zu identifizieren. Unsere Ergebnisse widerlegten die Annahme, dass es erhebliche Unterschiede in der Bewertung der Standards gibt. Stattdessen konnten sich die Praktiker auf 71 Standards für den Einsatz ehemaliger Extremistinnen und Extremisten einigen.

In New York kamen führende P/CVE-Praktikerinnen und Praktiker und Organisationen zusammen, darunter EXIT-Deutschland, Exit UK, Moonshot, Life After Hate, Parents for Peace, Resilience in Unity, Muflehun, Revontulet, der Regierung von Bangladesch, dem Department of Homeland Security CP3, dem Global Community Engagement and Resilience Fund, der Anti-Terrorismus-Einheit der OSZE, dem Büro der Vereinten Nationen für Terrorismusbekämpfung und dem Exekutivdirektorat der Vereinten Nationen für Terrorismusbekämpfung.

Im Rahmen des Workshops wurden die im Delphi-Verfahren erarbeiteten Konsensstandards diskutiert und herausgearbeitet, wie diese weiterentwickelt und implementiert werden. Dabei wurde definiert, welche Standards für die Einstellung von Ausgestiegenen im Bereich Prävention von gewalttätigem Extremismus (P/CVE) gelten sollten. Ziel war es, Mindeststandards zu identifizieren. Mindeststandards, die auf erfolgreichen Praktiken basieren und von allen P/CVE-Programmen, die Ausgestiegene beschäftigen, in unterschiedlichen Kontexten übernommen werden sollten.

Ein Konsens zur Entwicklung von Normen

Die Entwicklung von Standards im Bereich P/CVE, insbesondere zur Einbeziehung von Ausgestiegenen, ist herausfordernd. Dies liegt vor allem daran, dass die Diskussionen oft schwierig und emotional aufgeladen sind. Auch im Rahmen des Workshops war dies der Fall. Trotz teils intensiver Diskussionen war es wichtig, offen zu bleiben, sich gegenseitig herauszufordern, zuzuhören und die Perspektiven der anderen Teilnehmenden zu verstehen. Während die Einbindung von Ausgestiegenen in den P/CVE-Bereich weiterhin ein kontroverses Thema bleibt, bestand weitgehend Einigkeit darüber, dass die Entwicklung von allgemein akzeptierten Standards dringend erforderlich ist.

Wichtige Diskussionspunkte zu den Standards für die Beschäftigung von Ehemaligen:

Notwendigkeit von Standards:

  • Es bestand Konsens darüber, dass Standards notwendig sind. Sie schaffen klare organisatorische Leitplanken um Risiken zu minimieren und unfaire Konkurrenz bei der Beantragung von Fördermitteln zu verhindern.

Mindestanforderungen an die Praxis:

  • Standards können als einschüchternd empfunden werden oder den Eindruck erwecken, dass sie „Best Practices“ darstellen. Dabei aber den spezifischen lokalen Kontext unzureichend berücksichtigen. Es ist jedoch wichtig, Standards als ein Mindestmaß an Fachlichkeit für die beteiligten Praktiker zu betrachten und an die lokalen Bedingungen anzupassen. Die Standards für Ausgestiegene im P/CVE-Bereich sollten daher als unverzichtbare Grundlage der Programme angesehen werden.

Globaler Kontext:

  • Im Rahmen des Workshops wurde insbesondere der Unterschied zwischen dem globalen Norden und dem globalen Süden hervorgehoben. Es wurde festgestellt, dass die ursprünglich vorgeschlagenen Standards stark auf den globalen Norden ausgerichtet waren. Daher nahmen alle Teilnehmenden an einer dritten Erhebungsrunde teil, um festzustellen, welche Standards universell anwendbar und welche kontextabhängig sind. So wurden die Standards auf eine überschaubare Anzahl zu reduziert und Mindeststandards identifiziert, die in verschiedenen regionalen Kontexten umsetzbar sind.

Insgesamt verlief die Diskussion offen und produktiv. Praktiker fordern seit Jahren Standards im Bereich P/CVE, und dieser Workshop stellte das erste nachhaltige Gespräch dar, das den Grundstein für qualitative Fortschritte in diesem Bereich legte.

Vereinbarte Standards als Grundlage für Maßnahmen

Vor Beginn dieses Projekts fehlten trotz des dringenden Bedarfs internationale Standards für die Beschäftigung ehemaliger Extremistinnen und Extremisten. Nach Abschluss des Projekts konnte unter führenden Fachleuten ein Konsens darüber erzielt werden, welche grundlegenden Standards jede P/CVE-Organisation einhalten sollte, die Ausgestiegene beschäftigt. Der Workshop stärkte sowohl das Wissen als auch das Vertrauen der Anwesenden bei der Einbindung Ausgestiegenen. Zukünftig sollen die Standards von Organisationen übernommen und in ihre Strategien integriert werden.

Das Projekt hat die Entwicklung von Standards im Bereich P/CVE sowie die Einbeziehung Ausgestiegener entscheidend vorangetrieben. Insgesamt wurden rund 40 bewährte Praktiken identifiziert, die als Mindeststandards für die Beschäftigung von Ausgestiegenen gelten. Diese umfassen Erwartungen an Einstellungs- und Überprüfungsprozesse, Programmstrukturen und berufliche Unterstützung.

Durch den Einsatz der Delphi-Methode konnte die Zustimmung zentraler Organisationen gewonnen und ein Konsens für die Arbeit mit Ausgestiegenen im P/CVE-Bereich entwickelt werden. Dies war besonders wichtig, da es derzeit keine unabhängige internationale Organisation gibt, die als Durchsetzungsmechanismus fungiert und Beschwerden überwacht oder bearbeitet. Daher bestand eine dringende Notwendigkeit, unter den Teilnehmenden einen Konsens über grundlegende und anschlussfähige Praktiken zu erreichen. In Zusammenarbeit mit Förderinstitutionen und internationalen Organisationen, die Anreize zur Umsetzung der Standards schaffen, erhöht das Konsensverfahren die Bereitschaft zur Implementierung im Feld.

Entwicklung von internationalen Leitlinien in der Prävention von gewalttätigem Extremismus

Wie geht es weiter mit den Standards?

Der nächste Schritt besteht darin, die Normen für die Praxis zu festigen, die den Standards Dritter zugrunde liegen sollten. Unter dem Titel „Standards for employing formers“ wird ein Bericht veröffentlicht, der Standards definiert, den Grad der Übereinstimmung aufzeigt und einen Weg zur Umsetzung der Standards skizziert. Zudem werden wir eine Reihe von Treffen mit wichtigen Interessengruppen organisieren, um die praktische Umsetzung zu erleichtern – viele von ihnen haben bereits ihre Unterstützung zugesagt.

Letztlich hat dieses Projekt die ersten international vereinbarten Standards für die Beschäftigung von Aussteigern im Bereich P/CVE geschaffen. Diese Standards stellen eine bedeutende Ressource für Programme dar, die Ausgestiegene beschäftigen, und tragen dazu bei, Praktiken zu vereinheitlichen sowie Organisationen Handlungssicherheit zu bieten, die sich auf die Prävention von gewalttätigem Extremismus konzentrieren. Es bleibt abzuwarten, in welchem Ausmaß die Organisationen diese Standards übernehmen, doch allein die Tatsache, dass sie entwickelt wurden, stellt einen bedeutenden und nachhaltigen Meilenstein dar.

EXIT-Deutschland war Teil des Advisory Board.

Dr. Gordon Clubb ist außerordentlicher Professor für Terrorismus (Globale Sicherheitsherausforderungen) an der Universität von Leeds.

Zuerst erschienen und mit freundlicher Genehmigung von Policy Leeds.

Übersetzung: Fabian Wichmann

 


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