Sollbruchstellen – Motive des Ausstiegs
Eine Chronik der inneren Brüche mit der rechten Szene und wie man sich in der Szene verändert (Teil 1)
Von ACD
„Ausstiege passieren nicht über Nacht“ – Eine Aussage, die man in Zusammenhang mit Deradikalisierung und Ausstieg häufig zu hören bekommt. Für mich kann ich das auch so bestätigen. In diesem Text möchte ich meine inneren Brüche mit der Szene exemplarisch darstellen, um so einen Eindruck zu vermitteln, wie und warum Personen die Szene verlassen können. Gleichzeitig ist es auch für mich eine Reise in die Vergangenheit, die meine eigenen Bedürfnisse analysiert und einordnet: Warum bin ich überhaupt eingestiegen?
Die Außenperspektive
Als regelmäßiger Konsument sogenannter Mainstream-Medien war ich bereits vor meinem Einstieg durch die Berichterstattung über die rechte Kameradschafts-und Politszene entsprechend misstrauisch gegenüber der Parteienlandschaft innerhalb des Rechtsextremismus. Parteien wie die NPD zeigten sich in den Medien stets als Partei entweder einfacher Geister – oder sehr unsympathischer Persönlichkeiten. Bekannte Vertreter, wie Udo Voigt mit seinem „Ausländerrückführungsprogramm“ und zahlreichen NS-Anspielungen oder Holger Apfel, der versuchte, seiner Partei einen bürgerlichen Anstrich zu geben, wirkten auf mich vor dem Einstieg entweder wenig überzeugend oder gar unglaubwürdig.
Nach dem Einstieg änderte sich diese Situation für mich nicht. Die Idee, durch eine Partei die politische Situation in Deutschland zu ändern, erschien mir zum einen wenig erfolgreich und zum anderen wenig erstrebenswert.
Dies liegt daran, dass ich als Person wenig Gründe hatte, die Situation in Deutschland grundlegend verändern zu wollen: Ich stamme aus gutsituiertem Elternhaus und mir standen Optionen auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung. Selbst nach Jahren in der Szene und der damit verbundenen Radikalisierung wirkten die Parteien nicht attraktiv. Die NPD und weitere Splitterparteien (etwa „Die Rechte“) waren auf denjenigen Szeneveranstaltungen, an denen ich mich beteiligte, wenig bis gar nicht präsent und Personen, die zu solchen Gruppen gehörten, überzeugten mich nicht. Entweder wirkten sie pseudobürgerlich, oder hingegen einfach zu radikal in ihrer Lebenswirklichkeit bzw. Wertvorstellung. Während ich in der Szene die üblichen Feindbilder rasch übernahm, waren die alltäglichen Konsequenzen einer NS-Lebenseinstellung bzw. NS-Lebensführung mit all ihren streng-ideologischen Auswüchsen jedoch wenig attraktiv.
Die Innenperspektive: Eindrucksvolle Realitäten
Über die Musik und nicht über Freundschaft in die Szene gekommen zu sein, war für mich mit einigen Enttäuschungen verbunden. In den Liedern ist zwar ein klarer Fokus auf Menschenverachtung und Vernichtungsfantasien, doch was auch immer mitklingt, ist das Gefühl einer inneren Überlegenheit gegenüber anderen Menschen. Diese wurde hauptsächlich durch eine scheinbar inhärente Nobilität der weißen Rasse „begründet“.
Nun wurde ich dann mit der Realität konfrontiert: Bei meinem zweiten rechtsextremen Konzert kam ich am eigentlichen Veranstaltungsort an und meine damalige Gruppe wurde darüber informiert, dass das Konzert verschoben werden musste. Anscheinend wurde die Polizei darauf aufmerksam. Während wir auf den organisierten Bus warteten, wurden mir die möglichen Gründe für die Verschiebung recht deutlich. Auf der Straße wurde von anderen Konzertteilnehmern offen der Hitlergruß gezeigt, exzessiv Alkohol konsumiert und an die örtliche Kirche uriniert. Endlich im Bus, musste die Fahrt zum eigentlichen Konzertort dann mehrfach unterbrochen werden, da sich der Organisator der Fahrt übergeben musste.
Für mich damals ein großes Gefühl von Fremdscham. Ergänzt wurde dies noch durch jene gewisse Ignoranz, die sich in der Szene vorfand. Mein Studium wurde in der Szene eher kritisch beäugt mit Aussagen, wie, dass man dort eh nur „Lügen“ lernen würde. Eine kritische Auseinandersetzung mit Bildungseinrichtungen, wie man es heute u.a. von AFD-nahen Gruppen gewohnt ist und die primär auf den Einfluss der sogenannten Frankfurter Schule im deutschen Bildungssystem abzielt, war in der Szene damals kaum zu finden. Die Kritik beschränkte sich primär auf einfach-primitiven Antisemitismus und einen damit verbunden gesehenen (selbstredend negativen) Einfluss Israels bzw. Personen jüdischen Glaubens allgemein auf das deutsche Bildungssystem.
Rückblickend würde ich sagen, dass ich beim Eintritt in die rechtsextreme Szene nach Anerkennung, Bedeutung und Abgrenzung von der Gesellschaft gesucht habe. Die ideologische Supremität und der Wunsch, Teil einer Elite zu sein, spielten ebenfalls eine Rolle.
Die angebliche Elite und der „ich kenne den“-Effekt
Wenn man Teil der Szene ist, kommt für viele zügig der Moment, in dem man die sogenannte „Elite“ kennenlernt. Dies sind Personen, die intern einen gewissen Ruf genießen und auf ihren Wirkungskreis Einfluss haben. Als ich auf diese traf, kam es erneut zu inneren Brüchen. In meinem ehemaligen Umfeld waren dies primär Musiker und Konzertveranstalter. In Musik und Subkultur werden diese mit quasi mystischen Attributen versehen. Sie geben sich gegenüber neuen Mitstreitern teilweise bewusst distanziert und unnahbar. Nach einigen Konzerten kommt man dann jedoch üblicherweise auch mit diesen Personen ins Gespräch.
Eine dieser Personen, die ich in meiner Zeit kennenlernte, war als eine „Legende“ in der Szene bekannt. Diesen Grad erreichte er durch Gewalttaten in seiner Jugend, seinen Einfluss in der Szene durch einen Versandhandel und einen Ruf als nationalsozialistischer Intellektueller. Als ich ihn traf und mit ihm interagierte wirkte er ruhig, verschlossen und generell wenig beeindruckend oder charismatisch.
Besonders möchte ich hier noch eine spezielle Situation schildern, die eine spannende Frage aufwirft: Was passiert in der Szene, wenn sich jemand mit dieser sogenannten „Elite“ anlegt bzw. mit ihr in einen (internen) Konflikt kommt? Es kommt nicht selten zu Gewalt. Ein damaliger Bekannter kritisierte etwa die Kosten eines Merchandise-Artikels jener Szenegröße.
Daraufhin wurde er, Monate später, bei einem Konzert aufgesucht. Nicht von dieser „Szene-Größe“ persönlich, sondern von dessen Bekannten, im Außenbereich. Von einer Überzahl körperlich angegriffen. Dieser Bekannte distanzierte sich in der Folge von der Szene und beklagte einen Mangel an ideologischer Ausrichtung. Obwohl die meisten Anwesenden den „Überfall“ hinter vorgehaltener Hand kritisierten, ergriff niemand, mich einbezogen, Partei für diese Person. Auch aus Furcht, selbst zum Opfer zu werden.
Die Kontakte mit Gruppenanführern waren aufbauend, da man nun „Teil der Szene“ sei. Doch die Enttäuschung, dass es eben keinen Gruppenzusammenhalt gab und auch die selbsternannte „Elite“ persönlich meine Ansprüche wenig erfüllt. Sei es durch ihre Art als auch ihren Führungsstil, der eher einer willkürlichen Herrschaft glich.
Im Spiegel
Um diesen ersten Teil abzuschließen, möchte ich mir noch selbst den Spiegel vorhalten. Auch, um aufzuzeigen, wie einen diese inneren Brüche verändern. Ich habe sie während der Situation selbst als enttäuschend empfunden. Teil dieser Situation zu sein sorgte zwar für eine Irritation, doch, bzw. leider, statt eines früheren Ausstieges auch zu einer eigenen Veränderung.
Als Teil der Szene fiel ich selbst auch durch Alkohol-Exzesse und (nicht zuletzt auch damit verbundenes) Zeigen des Hitlergrußes auf, brüstete mich durch Bekanntheit mit der erwähnten, vermeintlichen „Elite“. Verbal wurde ich zunehmend aggressiver und gewaltaffiner – Ein nicht unlogisches Ergebnis des Kontaktes und Umgangs innerhalb dieser Szene. Ich habe mich angepasst und mein Wunsch nach Abgrenzung zur Gesellschaft, nach einer Gruppe und nach Anerkennung für meinen Weg, dazu, „etwas Besonderes zu sein“ entwickelte sich mehr nach den Vorstellungen, die die Szene proklamiert. Es ärgert mich, dass ich mir nicht früher eine neue Gruppe gesucht habe, um diese, menschlichen, Bedürfnisse zu erfüllen, anstatt sie pervertieren zu lassen bzw. sie selbst zu pervertieren.
An die Person, die oben erwähnt wurde: Es tut mir leid, dass ich dir damals nicht geholfen habe und ich hoffe, dass Du auch einen anderen Weg gefunden hast. Ich habe meine Konsequenzen gezogen.