Sex, Drugs, & Nazi-Rock ‚n‘ Roll – Rechtsextreme Bruderschaften
Rechtsextreme Bruderschaften und ihre Mafiastrukturen.
Von Elias Vander.
Sie tragen Lederkutten mit den Insignien ihrer Gruppierung, imitieren mit ihrem Auftreten bekannte und große Motorradclubs und verdienen ähnlich Geld, wie ihre scheinbar großen Vorbilder.
Seit Anfang der neunziger Jahre sind Bruderschaften fester Bestandteil der rechtsextremen Szene in Deutschland. Mit ihren internationalen Verbindungen und Netzwerken spielen sie bekanntermaßen eine entscheidende Rolle in der rechtsextremen Musikszene. Sie vertreiben Musik, unterstützen Musiker, veranstalten Konzerte, stellen Liegenschaften oder Ordnerdienste zur Verfügung. Ihre Aktivitäten jedoch reichen weit darüber hinaus, wie die Entwicklungen der letzten Jahre und aktuelle Ereignisse verdeutlichen.
Schweigende Brüder
Zu den bekanntesten Netzwerken zählte das verbotene Netzwerk Blood and Honour (B&H). Dessen primäre Funktion war die internationale Vernetzung rechtsextremer Bands und die Koordination, sowie das Veranstalten entsprechender Konzerte. Dabei hat die Musik die Funktion, persönliche Kontakte zu schaffen und die nationalsozialistische Ideologie zu verbreiten. Zu einem Verbot von B&H kam es bereits im Jahre 2000. Der bewaffnete Arm dieses Netzwerkes, Combat18, wurde hingegen in Deutschland erst 20 Jahre später verboten. Mit geschätzten 10.000 Mitgliedern ist das Netzwerk nach wie vor international aktiv. Neben dem verbotenen Netzwerk B&H sind weitere Bruderschaften in Deutschland aktiv. Darunter die Turonen, Hammerskins und deren Unterstützernetzwerk Crew 38, Barnimer Freundschaft, die Hermunduren oder die Berliner Vandalen, die den Beinamen „Ariogermanische Kampfgemeinschaft“ führen. An ihrer politischen Ausrichtung lassen diese Bruderschaften keinen Zweifel aufkommen. Aufgrund der ausgeprägten Hierarchie sind sie intern stark sanktionsfähig, was unter anderem zu Folge hat, dass wenig über Interna dieser Gruppen bekannt ist. Videos von Treffen oder Jahresfeiern, wie jüngst veröffentlicht, sind selten und Aussteiger, die sich mit den Gruppen öffentlich und kritisch auseinandersetzen eine Seltenheit. Bruderschaften wie diese sind straff strukturiert.
Kutten und Konspiration
Dass sich die Aktivitäten dabei nicht nur auf die Bereiche Musik und Konzertveranstaltungen beschränkten, zeigten die unterschiedlichen Verbindungen von rechtsextremen Attentätern zu diesen Gruppen in der Vergangenheit. So lassen sich Verbindungen zu Waffenkäufen, Morden und politisch motivierter Gewalt nachzeichnen. Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) – eine neonazistische terroristische Vereinigung, ermordete zwischen 2000 und 2007 neun Migranten und eine Polizistin, verübte 43 Mordversuche, drei Sprengstoffanschläge und 15 Raubüberfälle – zählte gleich mehrere Mitglieder von B&H zu seinem Unterstützerumfeld. Auch der aus Kassel stammende Attentäter von Walter Lübcke hatte früher Kontakt zum Netzwerk Combat 18, das in Kassel seit langem stark verankert war. Immer wieder fallen Mitglieder sogenannter Bruderschaften durch schwere Gewalttaten auf. Im Februar 2014 etwa waren einige spätere Mitglieder der Turonen an einem Angriff auf eine Feier der Ballstädter Kirmesgesellschaft beteiligt.
Dass sich diese Gruppen in der ständigen Beobachtung durch Sicherheitsbehörden wähnen, verdeutlicht unter anderem die Tatsache, dass entsprechend verbotene Symbole in Clubräumen nur bedingt sichtbar oder gänzlich untersagt sind. Für die Öffentlichkeit sind diese Netzwerke in der Regel unsichtbar. Nicht zuletzt, um sich etwaiger Strafverfolgung zu entziehen. Aber auch, um organisatorisch und strukturell in gesellschaftliche Räume wirken zu können, wird bewusst vermieden, sich allzu deutlich in der Öffentlichkeit als Gruppe zu assoziieren. Einige Bruderschaften haben es ihren Mitgliedern untersagt, in der Öffentlichkeit Kutten, T-Shirts oder andere Kleidungstücke mit dem Symbol der Gruppierung zu tragen. Dieses Verhalten soll es Sicherheitsbehörden erschweren, eine eindeutige Zuordnung herzustellen, Netzwerke zu identifizieren oder konkrete Gruppengrößen zu bestimmen. Andere Clubs verbieten das Tragen der Klubkleidung etwa bei Demonstrationen. Auch dort spielt die Strafverfolgung eine Rolle, aber auch die Möglichkeit, dass Mitglieder der Gruppe Demonstrationen inkognito instrumentalisieren können. Wieder andere Bruderschaften treten auch in der Öffentlichkeit sichtbar mit ihrer Klubkleidung in Erscheinung. Zum einen, um sozialräumliche Präsenz und zum anderen, um Dominanz und den eigenen Machtanspruch zu signalisieren. Die Klubkleidung hat dabei auch eine kommunikative Funktion nach innen: sie bestimmt Zugehörigkeit und Status in der jeweiligen Vereinigung. Abweichungen von diesem Kommunikationscode oder nicht legitimiertes Tragen der Symbole der Bruderschaft werden entsprechend sanktioniert.
Biker ohne Bikes – NS-Rockerklubs und ihre Rolle innerhalb der Szene
Klare Regeln, Sanktionen bei Missverhalten und straffe Hierarchie
Für die Durchsetzung dieser Sanktionen braucht es handlungsfähige Strukturen, klare Hierarchien und eine glaubwürdige Authentizität in der rechtsextremen Szene. Über all das verfügen diese Bruderschaften. Unter anderem darum sind sie immer wieder federführend bei der Organisation rechtsextremer Großkonzerte involviert. Sie besorgen (in der Szene namhafte) Bands, stellen die Ordnerkräfte mit Hilfe anderer befreundeter Bruderschaften. Wie andere NS-Rockerklubs (nationalsozialistische Rockerklubs) sind auch die Turonen aus Thüringen straff organisiert und hierarchisch strukturiert. Der Klub wird hier meistens zu einer Art „Ersatzfamilie“, denn seine „Klubbrüder“ sieht man regelmäßiger als seine richtige Familie. Es gibt Member, die „demokratisch“ Themen besprechen und Entscheidungen treffen. Unter den Membern wirken die Prospects (Anwärter) und erfüllen alle „niederen“ Aufgaben, zum Beispiel den Tresendienst und das Bewirten der Member sowie guter Freunde auf Klubabenden oder größeren Feiern. Auf unterster Stufe stehen die „Hangarounds“. Das sind Personen, die Interesse am Club zeigen und regelmäßig vor Ort sind. Ziel ist es, ein familiäres Umfeld zu schaffen. Es wird hier ein elitärer Zusammenhalt propagiert und den Mitgliedern absoluter Gehorsam und Loyalität gegenüber der Gruppe abverlangt.
Dass im Fall der Turonen Thüringen offensichtlich die Organisationstrukturen von Rockerclubs übertragen werden, zeigt sich unter anderem an der Etablierung von sogenannten Unterstützerclubs. Dabei handelt es sich um befreundete Clubs, die bestimmte Dienste übernehmen und dem eigentlichen Club in der internen Hierarchie nachgeordnet sind. In der Regel sind diese Gruppen für Aktivitäten zuständig, mit denen der eigentliche Club nicht in Verbindung gebracht werden will. Für die Turonen ist es die Garde 20, deren Mitgliedern eine spätere Vollmitgliedschaft im Hauptklub in Aussicht gestellt wird. Zentral für alle Rockerclubs ist das Clubhaus. Es dient als Treffpunkt, Veranstaltungs- und Rückzugsort. Im Fall der Turonen ist es das sogenannte „Gelbe Haus“ in Ballstädt.
Rechtsrock
Dass das Veranstalten rechtsextremer Konzerte mit bekannten Bands viel Geld einbringt, haben Gruppen wie die Turonen schon längst verstanden. Die Gruppe nutzt ihre Beziehungen zu nationalen wie internationalen „Rechtsrockgrößen“, um mit deren Namen möglichst viele Konzertbesucher zu mobilisieren. Wahrscheinlich werden die verdienten Gelder, welche sich auf mehrere 100.000 EUR belaufen dürften, sowohl in die Organisation neuer Konzerte als auch in die Anschaffung von Immobilien gesteckt. Konzerte wurden hier nachweislich in der Schweiz und in Deutschland organisiert. Das neonazistische Festival „Rock gegen Überfremdung“ zieht jährlich viele Fans an. Bei einem Konzert 2017 in Themar waren ca. 6000 Konzertbesucher, die wiederum jeweils rund 30 Euro alleine an Eintritt bezahlten. Wieviel Geld bei einem solchen Konzert also nach Abzug aller Kosten bei den Veranstaltern bleibt, lässt sich in etwa ausrechnen. Dabei nicht einberechnet ist der Verkauf von Merchandise und CDs, sowie die Gewinnspanne beim Verkauf von Getränken und Lebensmitteln. Nicht immer steht der finanzielle Aspekt im Vordergrund. Die Konzerte dienen gleichermaßen als Kontaktbörse und Bühne für Propaganda. Sie sind damit Teil der extremistischen Eventkultur. Damit tragen sie entscheidend zur Politisierung und zur Identitätsbildung bei sowie zum Ausbau und der Etablierung von internationalen Netzwerken.
Die Drogen der Anderen
Nicht so populär in diesen Reihen ist der Handel mit Drogen. Dieses Verhalten ist in diesen Kreisen eher verpönt und ungewollt, wohl auch, weil man den Drogenhandel in Deutschland Menschen mit Migrationshintergrund zuschreibt. Dennoch finden sich in diesem Milieu immer wieder Belege für Neonazis, die in den Handel und/oder Konsum von Betäubungsmitteln involviert sind. In Sachsen exponierte sich die NPD mit einer Kampagne gegen Crystal-Meth. Wenige Zeit später wurde durch die Polizei ein Netzwerk von Drogenhändlern im Bundesland aufgedeckt. Im Zentrum dieses Netzwerkes: sächsische Neonazis. 2012 wurde ein Mitglied der Skinhead-Band „Bollwerk“ verhaftet. Der Vorwurf: Er hat mit Crystal-Meth „in nicht geringer Menge“ gehandelt. Auch der Betreiber der neonazistischen Modemarke Ansgar Aryan[1] ist in der Vergangenheit mehrfach wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Die Aufzählung lässt sich weiterführen. Insgesamt erzeugt sich der Eindruck, dass neben dem Konsum auch der Verkauf von Drogen ein erträgliches Geschäft für Teile der rechtsextremen Szene zu sein scheint.
Dennoch wird das Narrativ des kriminellen Fremden in der Zuschreibung und Stigmatisierung gepflegt. Intern scheint es diesen Gruppen aber schon lange nicht mehr darum zu gehen. Mitgliedern der Turonen ist es mittlerweile egal. Sie lassen sich offenbar nicht vorschreiben, mit welchen Mitteln sie Geld verdienen dürfen – und mit welchen nicht. Nach Angaben des Thüringer Landeskriminalamtes wurden Anfang diesen Jahres 27 Wohn- und Geschäftsräume in Gotha, im Landkreis Gotha, in Bad Langensalza, im Kreis Saalfeld-Rudolstadt, in Sachsen-Anhalt und in Hessen durchsucht. Bei den 21 Beschuldigten aus dem Umfeld der Neonazi-Bruderschaften Turonen und Garde 20 wurden ein Kilogramm Drogen gefunden, außerdem seien 120.000 Euro und Waffen sichergestellt worden.
Die Existenzen der Konsumenten sind diesen Leuten wahrscheinlich egal. Offenbar wird um das Thema „Drogen“ gern ein Schleier des Schweigens gehüllt und das „leicht“ verdiente Geld wieder in andere Belange investiert.
Prostitution
Doch nicht nur Drogen und Musik scheinen lukrative Geschäfte zu sein: auch Bordelle werden betrieben. Zum Beispiel von Mitgliedern der Turonen. Bei Hausdurchsuchungen im Kreis Gotha wurden Wohnungen und „Geschäftsräume“ der Turonen durchsucht. Darunter die „Blaue Lagune“, ein Bordell in Gotha, das seit ca. 2015 in Besitz der Turonen ist. Angemeldet ist das Bordell als Zimmervermietung, denn man möchte wohl ungern die Aufmerksamkeit der Behörden wecken. Es sollen noch andere Bordelle existieren, die den Turonen gehören. Diese Entwicklungen sind nicht neu. Unter dem Namen „Objekt 21“ firmierte bis 2013 ein neonazistischer Kulturverein in der österreichischen Gemeinde Desselbrunn. Dem 2011 behördlich aufgelösten, aber bis 2013 aktiven Verein gehörten österreichische und deutsche Neonazis an. Unter anderem vernetzt nach Nordthüringen zählten bewaffnete Raubüberfälle, Erpressung, Körperverletzung, Entführung, Drogen- und Waffenhandel zu den kriminellen Aktivitäten der Gruppe. Weiterhin hatte der Verein Kontakte ins Rotlichtmilieu. Das „Projekt 21“ wirkt wie die Blaupause der Strukturen, die die Turonen einige Jahre später in Thüringen etabliert haben.
Schon 2014 wies das Landesamt für Verfassungsschutz des Landes Sachsen-Anhalt darauf hin, dass von rund 1.400 durch den Verfassungsschutz beobachteten Rechtsextremen circa 3 Prozent einem Motorradclub angehörten. „Beide Gruppen verbindet die Affinität zu Gewalt. Und wir fürchten, dass Rechtsextreme versuchen könnten, sich im Rockermilieu mit Waffen und Sprengstoff zu versorgen.“ sagte der Chef der Polizei im Innenministerium, Karl-Heinz Willberg.
Fazit
Man kann hier von ganz deutlich erkennbaren kriminellen Strukturen sprechen, die sehr wenig mit „gutem Geist im Sinne des Volkes“ zu tun haben. Die Turonen und ihre Anhängerschaft sind ganz klar mafia-ähnlich strukturiert. Sie verdienen mit dem Leid anderer viel Geld, schüchtern andersdenkende Menschen ein und treten ihre eigenen Werte wie zum Beispiel: „Familie schützen“, „Treue“ oder „Deutsche Bürger vor Drogen schützen“ mit Füßen. Überträgt man die allgemeine Definition der organisierten Kriminalität auf die beschriebenen Aktivitäten, wird deutlich, dass es sich dabei nicht um lose ausgerichtete Aktivitäten handelt. Unter organisierter Kriminalität versteht das Bundeskriminalamt „die von Gewinn- oder Machtstreben orientierte planmäßige Begehung von Straftaten, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit von erheblicher Bedeutung sind, wenn mehr als zwei Beteiligte auf längere oder unbestimmte Dauer arbeitsteilig a) unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen (Anm. des Verf.: was mindestens im Bereich der Musikvertriebs und Konzertveranstaltung bei vielen Gruppen der Fall ist); oder b) unter Anwendung von Gewalt oder anderer zur Einschüchterung geeigneter Mittel; oder c) unter Einflussnahme auf Politik, Massenmedien, öffentliche Verwaltung, Justiz oder Wirtschaft“[2]. Insbesondre die ersten beiden Punkte sind fester Bestandteil der beschriebenen Szene, und die vorgefundene Struktur muss daher in Gänze, zumindest jedoch in Teilen, als eine mit organisierter Kriminalität verwobene Szene beschrieben werden.
Es bleibt zu hoffen, auch im Sinne der Anwohner, dass das auch von der Staatsanwaltschaft so betrachtet wird und dem Spuk in Ballstädt, Gotha und ganz Thüringen nun bald ein Ende gesetzt wird.
[1]Kleine Anfrage.
[2] Quelle
Foto: Screenshot mdr.de