Antisemitismus im Rechtsextremismus
Von Maik Scheffler.
Alle sprechen über Antisemitismus, doch nur selten über den eigenen. Ich war viele Jahre in der rechtsextremen Szene aktiv und der Hass auf Juden war eine Konstante dieser Ideologie, auch wenn er nicht immer offen zur Schau gestellt wurde. Mit diesem Text möchte ich einigen Gedanken und Reflektionen Raum geben.
Wenn es für die rechtsextreme Szene etwas Schlimmeres gab neben Ausländern, Linken, Homosexuellen und generell allen staatlichen und gesellschaftlichen Feinden des Nationalsozialismus, waren es Menschen jüdischen Glaubens, im Szene-Jargon: Die Juden. Dabei spielte es für uns damals keine Rolle, was wir über den Holocaust wussten bzw. gelernt hatten oder eben nicht wussten. „Der Jude“ – das war aus der damaligen Perspektive der Inbegriff für alles, was unser Volk, uns Deutsche daran hinderte, unseren auserwählten Platz in der Welt einzunehmen: natürlich jenen an der Spitze der sozialdarwinistisch interpretierten und rassistischen Gesellschaftstheorie. Wir, das waren die Anhänger der in den 90ern radikalisierten Kameradschaften mit völkisch-rassistischem Weltbild. Heute ist es die sogenannte Neue Rechte, die sich vermeintlich vom historischen Nationalsozialismus abgrenzt, um diesen zugleich neu zu entwickeln. Herausgekommen ist ein Identitätszwang, basierend auf der Ideologie kultureller Differenzen und dem Platz der verschiedenen Ethnien in einem homogenen sozialen Gefüge.
Video: Antisemiten sind immer die anderen
„Die Rothschild-Seuche lässt sich nicht wegimpfen“ stand bei einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen auf einem Plakat der Querdenker. Der Antisemitismus treibt neue Blüten, nicht erst seit Beginn der COVID-Krise. Auf der Straße und im Netz wird von unterschiedlichsten Seiten gegen Juden gehetzt. Doch seit dem Anschlag von Halle sind Politik und Zivilgesellschaft wachgeworden. Jährlich gibt die Bundesregierung für Extremismusprävention und Demokratieförderung 125 Millionen Euro aus. Wer entwickelt die Programme und Projekte? Was sind die neuen Strategien gegen den Judenhass in Deutschland? Unterstützt von EXIT-Deutschland. Zum Video
Macht man sich die Mühe und schaut sich den Prozess und die Faktoren der rechtsextremen Radikalisierung einmal an, wird man feststellen, dass es eben nur begrenzt ausreicht, auf der emotionalen Klaviatur von perspektivlosen, identitätssuchenden Jugendlichen oder gesellschaftlich enttäuschten, lebensfrustrierten Erwachsenen zu spielen, um ihnen neue Feindbilder und ein Motiv zu geben, das sie aggressiv-kämpferisch aufladen lässt. Das ideologisierte Weltbild muss ständig gegen rationale Gründe abgedichtet werden und dafür eignen sich wahnhafte Vorstellungen von Verschwörungserzählungen, die bereits so alt und widerlegt sind, dass man sie keinem konträren Faktencheck unterziehen muss um zu erkennen, welcher Weltanschauung sie folgen. Die Bezüge sind offenkundig.
Antisemitismus als Element aller fünf Grundpfeiler des Nationalsozialismus
Persönlich begleitete mich der Judenhass quer durch die Jahre meiner Radikalisierung und verließ mich auch dann nicht, als die offene Attitüde strategisch-taktisch abgelegt werden musste, um einer „seriösen Radikalität“ zu weichen. So nannte es die NPD, deren damaliger Chef Holger Apfel diese Strategie so formulierte: „Wer [wie eine] Randgruppe auftritt, muss sich nicht wundern, wenn man als solche wahrgenommen wird“. Auch noch heute berufen sich Rechtsextremisten und ihre Geschwister im Geiste (mögen sie sich auch als Identitäre, Alternative, Nationaldemokraten oder Querdenker bezeichnen) auf die offenkundigen Grundpfeiler derselben Ideologie, die den Antisemitismus in sich trägt.
Offener Antisemitismus war und ist eine entscheidende Konstante der Feindbildkonstruktion, wobei „der Jude“ als Sündenbock für politische und / oder wirtschaftliche Krisen ebenso wie für gesellschaftliche Entwicklungen darstellt wird. Ihnen wurde die Schuld an der Niederlage im ersten Weltkrieg, am Versailler Vertrag und der gesellschaftlichen Spaltung zugeschoben. Mich durchdrangen diese Negativerzählungen in den Liedtexten rechtsextremer Bands, durch Zeitzeugenvorträge ehemaliger Angehöriger der Waffen-SS, Artikel und Hetzschriften. In der Außendarstellung vermittelte man sich dennoch gemäßigt, seriös eben. Im Kameradschaftsheim hing indes die adaptierte Landesfahne, versehen mit einem Hakenkreuz.
Heute, mit den Möglichkeiten der modernen Medien, haben sich Vermittlungswege und (zum Teil) Sprache verändert und es gibt Akteure, die sich „Volkslehrer“ nennen oder konstruierte Märtyrer, die wegen der Leugnung des Holocaust in Haft sind. Die vermittelte Botschaft der Ideologie ist jedoch gleichgeblieben.
Eng verbunden mit dem Antisemitismus war auch immer der Sozialdarwinismus, der die Menschheit in höherwertige und minderwertige Rassen aufteilte. Unter einer biologischen Rassenhygiene verstand man im Nationalsozialismus gleichermaßen wie im heutigen Rechtsextremismus, den sogenannten Volkskörper „rein“ zu halten. Das betraf aus der Ideologie heraus damals wie heute sogenannte Asoziale, Homosexuelle, Sinti und Roma und eben auch Juden. Übrigbleiben sollte in dieser Weltanschauung der dritte Grundpfeiler: die Volksgemeinschaft. Eine Volksgemeinschaft unter Ausschluss definierter Religions- oder Volksgruppen. Die übrigen Pfeiler wie das Führerprinzip und der Lebensraumschaffung waren dann Perspektiven, die uns antrieben.
Antisemitismus im Kameradschaftsheim und Parteien
Während mich damals im Kameradschaftsheim fast ausschließlich der nationalistische Antisemitismus formte, in dem Juden und Jüdinnen als nicht- integrierbare bzw. nicht – assimilierbare Dritte galten, sondern als Minderheit in einer Nation betrachtet wurden, welche als nicht vereinbar mit der eigenen Nationalität betrachtet wurden, lernte ich in meiner späteren Politisierung den politischen Antisemitismus kennen, welcher von der Vorstellung ausgeht, „Juden seien ein homogenes Kollektiv mit einflussreicher sozialer Macht, das sich in politischer Absicht zu gemeinsamem Handeln zusammengeschlossen hat“. Konspirativ wird dem Juden eine Forcierung von Herrschaft über Nationen oder gar der ganzen Welt unterstellt. Hinter politischen oder gesellschaftlichen Umbrüchen wie Kriegen, Revolutionen oder Wirtschaftskrisen wurden reflexartig jüdische Akteure imaginiert. Die jahrelange Indoktrination hat funktioniert, wenn auch nicht immer bewusst. Die Vorstellung einer „jüdischen Weltverschwörung“ zog sich dabei durch alle mir bekannten rechtsextremen Parteien. Ab diesem Moment konnte ich sprachliche Chiffren nutzen, um nahezu jedes gesellschaftliche und politische Problem populistisch-missionarisch mit versteckten antisemitischen Bildern zu befüllen. Themen wie Antisemitismus, Holocaust, „Judenfrage“ oder „Rasse“ wurden lediglich in ihrer Offenheit aus dem Sagbaren verbannt. In den Köpfen waren sie bekannt und die Attitüde dahinter bestand weiter.
Antisemitismus heute als Bekenntnis zur deutschen Identität
Der Antisemitismus ist heute in diesen Kreisen noch genau so präsent wie damals – er nutzt lediglich eine sekundäre Form, die von der Annahme ausgeht, dass die Aufarbeitung und öffentliche Auseinandersetzung mit den Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes – vor allem mit der massenhaften Ermordung europäischer Juden – nur der Diffamierung der nationalen Identität der Deutschen diene. Aus dieser Lesart werden weitere Wiedergutmachungszahlungen, eine Unterstützung oder überhaupt nur die politische Legitimation Israels abgelehnt. Häufig findet eine Schuldabwehr statt, die in dieser Form zwangsläufig in einer Täter-Opfer-Umkehr mündet.
Forderungen nach einer geschichtspolitischen Wende, ein Ende des sogenannten „Schuldkults“ und eine Neuschreibung oder Neubewertung der deutschen Geschichte dienen immer den gleichen Zielen: den Nationalsozialismus von seinen Gräueltaten zu entkoppeln; Geschichte selektiv zu betrachten und nur noch bestimmte Aspekte zu thematisieren, um auf Umwegen eben jenen ideologischen Geist wieder in die Köpfe zu pflanzen. Mit allen Konsequenzen.