Symposium Rechtsextremismus und -terrorismus in Deutschland
Von Felix Benneckenstein und Fabian Wichmann.
Gemeinsam mit hochkarätigen Referentinnen und Referenten aus unterschiedlichsten Bereichen von Sicherheitsbehörden, Politik und Zivilgesellschaft stellten EXIT-Deutschland und die Aussteigerhilfe Bayern auf einer zweitägigen Tagung des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK) die Arbeit vor.
Symposium Rechtsextremismus und -terrorismus in Deutschland 21.06.2021 – 22.06.2021
Die Auseinandersetzung mit der wachsenden Gefahr eines sich verdichtenden Netzwerks rechter Gruppierungen und der zunehmenden Akzeptanz rechtspopulistischer Haltungen stellt unsere Gesellschaft vor eine Herausforderung, deren Bewältigung nicht alleine Aufgabe der Sicherheitsbehörden sein kann. Nicht erst seit der Aufdeckung des NSU, der Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke und den Anschlägen von Hanau und Halle sollte klar sein, dass gewaltbereiter Rechtsextremismus ein Bedrohungsszenario darstellt, mit dem sich sowohl gesellschaftspolitisch als auch mit einem behördenübergreifenden Ansatz auseinandergesetzt werden muss. Das Symposium widmete sich zunächst einer Bestandsaufnahme der aktuellen Erkenntnislage, um dann die Bekämpfungsstrategien der Strafverfolgungsbehörden und Nachrichtendienste darzustellen. Neben einer wissenschaftlichen Analyse rechtspopulistischer Bewegungen und rechtsextremer Gruppierungen wurde sich vertiefend mit den Möglichkeiten und Anforderungen der Prävention befasst und abschließend eine kritische Betrachtung der aktuellen Strategien im „Kampf gegen Rechtsextremismus“ gewagt. Es folgten über zwei Tage hinweg Beiträge von fast zwanzig Referentinnen und Referenten aus Politik, Polizei, Verfassungsschutz, Fachpersonal und Zivilgesellschaft.
Das Mosaik der kulturellen Subversion
Stefan Kramer, Präsident des Amtes für Verfassungsschutz Thüringen, hob in seinem Beitrag die Rolle von Frauen in extremistischen Szenen hervor. Dabei konzentrierte er sich bewusst nicht auf die einzelnen Aspekte des Themas, sondern die kultursubversiven Methoden, die insbesondere in pädagogischen und zwischenmenschlichen Konstellationen gezielt eingesetzt werden. Er machte damit deutlich, dass wir es beim modernen Rechtsextremismus aber auch im Islamismus, mit neuen Rollen- und Identitätsmustern zu tun haben. Ein weiter Aspekt, den er betonte, war der sogenannte Mosaik-Rechtsextremismus, bei dem sich unterschiedliche Teile der Szene nach seiner Wahrnehmung zu einem Mosaikbild zusammenfügen. Dabei nimmt er Entwicklungen wahr, bei der eigentlich verfeindete Gruppen oder Personen den Schulterschluss sowie die den Anschluss an die Mehrheitsgesellschaft suchen.
Prävention und Ausstieg
Fabian Wichmann von EXIT-Deutschland referierte über Deradikalisierung als Strategie und Praxis zur Bekämpfung des kriminalistisch relevanten Rechtsextremismus und vermittelte den Arbeitsansatz der Deradiklaisierung an der Arbeit von EXIT-Deutschland. Dabei ging es neben dem grundsätzlichen Ansatz, um Möglichkeiten und Grenzen der Kooperation mit Sicherheitsbehörden. Da insbesondere die Praxis im Feld der Deradikalisierung gezeigt hat, dass in den Bereichen
- Sensibilisierung, Weiterbildung und Qualifizierung,
- ausstiegsorientierte Ansprache,
- Gefahren- / Gefährderbewertung
- sowie die Qualifizierung von Schutzmaßnahmen
einen dringenden Ausbaubedarf gibt. Für die praktische Umsetzung der Ausstiegsarbeit sind Fragen von Sicherheit und damit die Bewertung von Gefahrenlagen essenziell, um Aussteigern und Aussteigerinnen zu schützen. Gleichzeitig können Erfahrungen von ihnen bei der Evaluation von polizeilichem Handeln hilfreich sein. Da sie einen Einblick die wir Wirkungsweisen und Wahrnehmungen bieten, die weitere Maßnahmen zielgerichtet gestalten zu können oder einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Unter dem Titel: „Chancen und Grenzen polizeilicher Intervention und Repression“ referierte Felix Benneckenstein über seine Erfahrungen und schilderte an seiner Biografie Do’s und Don’ts polizeilicher Intervention. Dabei ging er auf einsatztaktische Fragen wie auch Maßnahmen im Rahmen von Demonstrationsgeschehen näher ein. Sein Appell: Unverhältnismäßige Maßnahmen, zu hart oder zu weich, führen zum gleichen Ergebnis, sie befördern eine weitere Radikalisierung.
„Energie-Fans gegen Nazis“: Allein, auf weiter Flur?
„Wer von Ihnen kann etwas mit Energie Cottbus anfangen?“ Es meldet sich etwa die Hälfte der Anwesenden. „Und wer bringt Energie mit Neonazis in Verbindung?“ Man hätte die Hände oben lassen können: Die exakt selben Teilnehmer melden sich erneut. Ein anwesender Polizeibeamter aus Hessen lobte den Beitrag als „den eindrucksvollsten, bislang“. Und tatsächlich kann man manchmal Engagement und Mut einzelner Personen nicht hoch genug anrechnen. Es geht um die Faninitiative „Energie-Fans gegen Nazis“, die sich in einer Szene, die von außen betrachtet manchmal geschlossen Rechtsextremistisch verstanden werden mag. Laut, breit und brutal präsentieren sich die Strukturen, die sich bundesweit einen Namen gemacht haben, wodurch der Verein nicht nur unter Fußball-interessierten in der Bevölkerung einen gewissen Stempel bekommen hat. Auch hier ging der Vortragende, der lieber anonym auftritt, darauf ein, dass auch polizeiliches Wegschauen ein Teil der Problematik sei. Ungefährlich ist das Wirken von ihm und seinen Mitstreitenden nicht, aber sie konnten irgendwann nicht mehr zuschauen.
„Keine Symbolpolitik“ mehr beim BVB: Schonungslosigkeit zahlt sich aus
Weitaus weniger alleine ist man in Sachen Rechtsextremismus-Bekämpfung seit einiger Zeit bei Borussia Dortmund. Der Verein reagierte, wie anhand der Präsentation sichtbar wurde, inzwischen extrem vielfältig, schonungslos und nachhaltig auf aktuellere rechtsextreme Bestrebungen gleichermaßen, wie auf die berüchtigte Nazi-Hooliganszene, die sich vor allem in den frühen 80er Jahren einen Namen machte. Mehrfach wird glaubhaft betont, dass man von einer Symbolpolitik, ohne Konzept und klarer Haltung gegen Rassismus und Rechtsextremismus, Abstand genommen habe. Bildungsfahrten in die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau gehören dazu, ein „Ordner- Awareness- System“ wurde ins Leben gerufen, professionell betreute Rückzugsräume für Menschen geschaffen, die Opfer von Diskriminierung & Rassismus wurden. Statt teilweise abgestumpft und inhaltsleer wirkenden jährlichen Aktionen wie „Für Vielfalt & Respekt“ gibt es etwa Schals mit der Aufschrift „Gemeinsam gegen Antisemitismus“, „Gemeinsam gegen Homophobie“ – offiziell, vom Verein herausgegeben. Noch weniger missverständlich ist nur die Bierdeckel-Aktion „Kein Bier für Rassisten“, ebenfalls mit offiziellem BVB-Logo versehen.
Der Vortrag des BVB-Fanbeauftragten Daniel Lörcher konnte in Teilen auch das bebildern, was zuvor schon in anderen Vorträgen angesprochen worden war: Die hohe Militanz der Strukturen und die Unverfrorenheit, mit der man sogar bei Tötungsdelikten regelrecht prahlt. Auch hier konnte den Teilnehmenden, überwiegend aus der polizeilichen Arbeit, das Ausmaß auch auf sie persönlich verdeutlicht werden. Michael Berger tötete am 14. Juni 2000 in Dortmund die Polizeibeamten Yvonne Hachtkemper, Matthias Larisch von Woitowitz und Thomas Goretzky, bevor er sich selbst erschoss. Zwar wurde die Tat von polizeilicher Seite zunächst nicht als neonazistisch bewertet (obwohl Berger dort bestens vernetzt war), wohl aber schnell von den Neonazis selbst: Sie solidarisierten sich mit Stickern und T-Shirts, die teilweise heute noch bei internen Veranstaltungen der Dortmunder Neonazis getragen werden: „Berger war ein Freund von uns. 3:1 Für Deutschland!“ Gemeint mit den drei zu bejubelnden „Treffern“ sind die drei getöteten PolizistInnen, die Eins steht für den durch sie zu betrauernden Freund.
Rechtsextreme Mordanschläge auf Polizeibeamte – Keine Seltenheit
Dass das „Feindbild Polizei“, nachdem Polizistinnen und Polizisten nicht zu Zivilisten erklärt und somit als potenzielles Ziel für Mord und Terror nicht nur vorstellbar ist, machte der Rechtsanwalt Dr. Mehmet Daimagüler mit seiner bewegenden, die Veranstaltung abschließenden Rede noch einmal deutlich. So haben sich bei einem Besuch des türkischen Präsidenten in Berlin in eine Teilnehmerliste zwei Polizeibeamte als „Uwe Böhnhardt“ eingetragen. Was dies für Menschen bedeutet, die mit den Opfern und Angehörigen des NSU zu tun hatten, mag man sich nicht vorstellen. Was ihn aber besonders schmerzt und eine bedrückende Stimmung in den Raum warf: Schlimm genug, dass diesen Beamten die Opfer mit Migrationshintergrund offensichtlich egal sind. Dass sie sich darüber lustig machen. Sie verhöhnen. Aber vielleicht möchten sie ja mal mit den Angehörigen von Michelle Kiesewetter sprechen, die getötet, ihre Familie zerstört wurde, eine Kollegin. Eine Polizistin.
Als abschließenden Referenten wäre eine passendere Wahl schwer vorstellbar. Daimagüler kennt über seine Verteidigertätigkeit im NSU-Prozess die düstersten Kapitel gegenwärtiger Geheimdienst- und Ermittlungsarbeit. Eindringlich mahnte er, diese Fehler nie mehr zu wiederholen. Da er zudem mehrere Jahre Grund- und Menschenrechte an der Polizeihochschule unterrichtete, hatte er noch einige fundierte Tipps aus der Praxis im Gepäck.
Die Veranstaltung wurde unter der Schirmherrschaft von der Staatssekretärin im BMJV, Dr. Margaretha Sudhof, durch den Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) und die Kripo-Akademie in Kooperation mit der ASW-Akademie durchgeführt. Neben den bereits erwähnten Beiträgen waren unter Anderem Jürgen Ebner (Stellvertretender Direktor Europol, Den Haag) und Dr. Peter Frank (Generalbundesanwalt) und viele andere Referierende auf dem Podium.
Wir bedanken uns für die Einladung zu einer für alle Beteiligten höchst informativen Veranstaltung.
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