„Rechtsextremismus ist ein Thema, das uns alle angeht.“
Von Dorothee Schlüter.
Der Fotograf Jakob Ganslmeier über die Ursprünge, Umwege und das große Potential seines Projektes „Haut, Stein“ im Gespräch mit Dorothee Schlüter.
Frage: Wie kam es zu der Idee und was war der Auslöser, das Projekt in Gang zu bringen?
Jakob Ganslmeier: Den Zugang zu dem Thema – Ausstieg aus dem Rechtsextremismus – bekam ich über EXIT-Deutschland. Mein früherer Dozent an der Ostkreuzschule für Fotografie in Berlin, Ludwig Rauch, hatte im Zusammenhang mit seiner Arbeit „Unsere Jungs“, die sich mit Rechtsextremisten nach der Wende beschäftigt, den Kontakt zu Fabian Wichmann hergestellt, der als Fallbegleiter bei EXIT arbeitet. So bekam ich erste Einblicke in die Arbeit mit ehemaligen Neo-Nazis. Was mich sofort interessiert hat, waren Fragen wie: Ist es überhaupt möglich, diese menschenverachtende Ideologie abzulegen, und wenn ja, wie funktioniert das? Wie sehen frühere Neo-Nazis die rechtsextreme Szene, wie sieht der Perspektivenwechsel aus? Wie funktioniert der Einstiegs- und der Ausstiegsprozess? Viele dieser Fragen lassen sich natürlich nicht pauschal beantworten. Aber es hat mich interessiert, wie man den Ausstiegsprozess in Bildern zeigen kann. Anstatt dem Rechtsextremismus eine weitere Plattform mit meinen Bildern zu liefern, wie es womöglich gewesen wäre, wenn ich aktive Mitglieder fotografiert hätte, habe ich eine Chance darin gesehen, den Ausstieg aus diesem zu zeigen, nämlich die Chance zu zeigen, dass Menschen sich auch ändern können.
Frage: Haben Sie die Komponenten „Haut“ und „Stein“ von Anfang an zusammen gedacht? Oder was war zuerst da?
JG: Zuerst kam der „Haut“-Teil, das heißt die Arbeit mit den Aussteigenden. Der „Stein“-Teil, das heißt die Untersuchung der deutschen Stadtlandschaften im Umgang mit der NS-Symbolik nach den Denazifizierungsmaßnahmen, entstand im Zuge der Unterhaltungen mit den früheren Neo-Nazis. Diese erzählten immer wieder von „ideologischen Fahrten“, also Fahrten, die beispielsweise von Kameradschaften zu Orten wie der Wewelsburg organisiert werden, um sich gegenseitig ideologisch zu festigen und beispielsweise in ihrem Sinne der „Helden“ zu gedenken. Tatsächlich bin ich so zu den ersten Orten gekommen. Beide Teile, Haut und Stein, sind eng miteinander verbunden. Die Analogie der Symbolik, in Form der Tattoos auf der Haut und den Ornamenten im Stein, bringt den historischen Umgang mit NS-Symbolik mit heutigen Erscheinungsformen des Rechtsextremismus zusammen.
Die Ausstellung „Haut, Stein“ in Weimar
Frage: Sie haben über drei Jahre intensiv ehemalige Neonazis im Prozess ihres Ausstiegs begleitet – zusammen mit Mitarbeiter:innen von EXITDeutschland. Was hat das mit Ihnen gemacht?
JG: Ich bin in Dachau aufgewachsen, insofern ist die Frage nach dem Umgang mit der deutschen Geschichte für mich nicht neu. Die Arbeit an „Haut, Stein“ hat diese Auseinandersetzung und Reflexion ein weiteres Mal aufgemacht und vertieft. Die Betrachter:innen müssen den Bildern oder den abgebildeten Aussteigenden nicht unbedingt glauben im Sinne von „Meinen die den Ausstieg wirklich ernst, schaffen sie das?“ Was ich aber mit meinen Bildern sehr deutlich machen möchte, ist, dass es um individuelle Menschen geht und dass die Menschen nicht auf ihre Tätowierung reduziert werden sollten. Die Bilder und die Interviews zeigen, dass es eben kein Klischeebild gibt, kein einheitliches Muster für Rechtsextremisten und brechen unsere Vorstellung über den Neo-Nazi auf. Auch ich habe mein Bild, das ich über die rechtsextreme Szene hatte, in Frage gestellt und revidiert, damit ich mich darauf einlassen konnte, was mir die Aussteigenden über sich erzählt haben. Für mich als Fotograf bestand bildnerisch die besondere Herausforderung darin, wie diese Symboliken auf der Haut und im Stein überhaupt gezeigt werden können, ohne dabei in eine Bildästhetik wie von Leni Riefenstahl zu fallen und ohne die im Stein-Teil abgebildeten Symbole zu monumentalisieren. Eine weitere Herausforderung bestand für mich darin, mit den Fotografen einen zeitlichen Bogen vom Nationalsozialismus zu heute zu schließen.
Frage: Acht Männer und zwei Frauen werden in der Ausstellung fotografisch porträtiert. Außerdem haben Sie mit ihnen Interviews geführt über ihre Einstiege in die rechtsradikale Szene und Prozesse des Aussteigens. Diese individuellen Geschichten wurden im Auftrag von EXIT-Deutschland als Podcast eingesprochen, der die Ausstellung begleitet. Kaum veröffentlicht im Frühjahr 2021, kletterte der Podcast die Rankinglisten der üblichen Plattformen hoch. Welche Hoffnung verbinden Sie damit?
JG: Die Interviews mit den Aussteigenden habe ich geführt, weil ich zum einen die Chance gesehen habe, dass das Thema damit über die rein fotografisch Kreise hinaus geht. Zum anderen können die Bilder zwar viele Fragen stellen, sie können aber nicht alle Zusammenhänge der fotografierten Person erzählen. Bilder sind insgesamt sehr gut darin, Fragen zu stellen und Räume zu können, aber eher schlecht im Erklären. Ich hatte schon immer vor, dass die Interviews eingesprochen werden. Das erste Mal zu hören waren sie dann in einer verkürzten Version in der Ausstellung in der Zitadelle Spandau. Daraus entstand die Idee, Podcasts zu erstellen mit Menschen, die auf die Arbeit „Haut, Stein“ wie auch die Arbeit von EXIT aufmerksam machen wollen. Dadurch haben wir die Reichweite nochmal um ein Vielfaches vergrößert. Ein künstlerischer Prozess in der Auseinandersetzung mit einem Thema ist nicht mit dem Ende des Fotografierens, mit dem „letzten“ Foto oder einer abschließenden Ausstellung erreicht, sondern die Bilder wirken weiter und können, eigentlich sollen sie neue Prozesse in Gang bringen. Also im Fall von „Haut, Stein“ hat sich das Projekt weiterentwickelt, zum Beispiel mit den Podcasts, den Workshops in Schulen mit Aussteigenden wie z. B. in Weimar, der Zusammenarbeit mit dem Brandenburgischen Landesmuseum für moderne Kunst in Cottbus oder zuletzt auf Initiative des Friedensfests in Ostritz.
Der Podcast zur Ausstellung
Die Interviews zur Ausstellung wurden für einen Podcast eingesprochen. Die Geschichten von fünf Männern und zwei Frauen erzählen von ihrem Ein- und Ausstieg: über Gründe, Zweifel, von der Entscheidung bis zum Bruch, von ihrem Leben nach dem Ausstieg und der Entfernung von Szenetattoos. Während die Ausstellung die Entfernung der Tattoos fotografisch dokumentiert, wird durch die Geschichte die Person hinter den Fotografien sichtbar.
Die Geschichten wurden von Felix Lobrecht, Patrick Salmen, Julia Gamez Martin, Steffen Schroeder, Felix Römer, Ariana Baborie und Kai Lüftner eingesprochen.
Den Podcast gibt es bei Spotify und überall wo es Podcasts gibt.
Frage: Ursprünglich war „Haut, Stein“ als klassische Innenraum-Ausstellung konzipiert. Was bedeutete es für Sie, daraus eine Außenausstellung zu entwickeln? Und welche Auswirkungen hat es für das Projekt selbst, dass es nun als großformatige Installation im öffentlichen Raum platziert und sogar auf Wanderschaft gehen kann?
JG: Die Außenausstellung, die auf Ihre Initiative hin und in Kooperation mit dem niederländischen Designbüro Kummer & Herrman entstanden ist, war eine riesige Chance. Die Bilder im großen Format im öffentlichen Raum zu zeigen, erhöht die Rezeption und Aufmerksamkeit, und auch Menschen, die nicht regelmäßig ins Museum gehen, können sich die Bilder anschauen und sich ihre Gedanken machen. Und mich persönlich hat natürlich auch gefreut, dass die Bilder auch im großen Format und anderer Zusammenstellung als im Museum funktionieren und wirken. Aber ich sah die Gefahr, dass die Arbeit nicht verstanden wird, dass der oder die Besucher:in möglicherweise nur ein Hakenkreuz sieht und das auch noch toll findet und ein Selfie macht. Das wäre natürlich katastrophal gewesen. Deshalb haben wir entschieden, den Stein-Teil nach Außen, quasi als Außenwand, zu setzen und den Haut-Teil auf die Innenseiten in teilweise sehr spitzen Winkeln zu platzieren, sodass man die Bilder teils gar nicht mehr gerade anschauen kann. Dadurch haben wir einer falschen Heldenverehrung und entsprechenden Selfies vorgebeugt. Gleichzeitig waren auch die Bilder, die aufgrund der Symbolik offensichtlich problematisch sind, aus den Sichtachsen von außen genommen, sodass man zuerst in die Installation eintreten musste, um diese Bilder zu sehen. Besonders spannend war natürlich auch der Stéphane-Hessel Platz in Weimar, auf dem die Ausstellung das erste Mal zu sehen war – zwischen dem ehemaligen Gauforum und dem neuen BauhausMuseum. Dieses örtliche Spannungsverhältnis korrespondiert sehr gut mit dem Thema der Arbeit und wir haben die Möglichkeit genutzt, aus dem Stein-Teil eine Sichtachse auf das ehemalige Gauforum zu werfen. In Nordhausen war die Ausstellung an einem sehr frequentierten Ort zu sehen, was meiner Meinung nach auch sehr gut funktioniert hat, – und sie wurde auch, wie wir leider wissen, von der örtlichen rechtsextremen Szene wahrgenommen. Tatsächlich ist die Außenausstellung auch eine Weiterentwicklung der Innenvariante und genauso dafür konzipiert zu wandern. Natürlich ist der Aufwand ein größerer.
Frage: Ihre künstlerische Perspektive hat zwei Arbeitsfelder zur Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus zusammengeführt: die aktuelle Sensibilisierungs- und Deradikalisierungsarbeit von EXIT-Deutschland und die historisch-politische Bildungsarbeit, die wir für gewöhnlich in den Gedenkstätten umsetzen. Die Wirkung des gemeinsamen Ausstellungsprojektes wird durch den jeweiligen öffentlichen Ort der Präsentation noch potenziert. Welcher wäre der perfekte Ort für „Haut, Stein“?
JG: Den perfekten Ort gibt es glaub ich nicht, ich bin froh über jede Zusammenarbeit mit Institutionen, die die Arbeit zeigen. Gerade in Deutschland hat man leider oft konzeptionelle Probleme und Vorbehalte, wenn man eine Ausstellung über Neo-Nazis an historischen Orten wie Gedenkstätten zeigt. Mir persönlich geht es aber darum, einen Diskurs zu beginnen und gleichzeitig die richtigen Fragen aus einer künstlerischen Perspektive zu stellen. Mit manchen Institutionen kann dann eine sehr intensive und produktive Zusammenarbeit entstehen, wie z. B. im Anfangsstadium mit dem NS-Dokumentationszentrum in Köln. Ich würde mir wünschen, dass die Ausstellung auch im westlichen Teil Deutschlands gezeigt wird. Bisher war sie bis auf die Zitadelle Spandau und Bielefeld vor allem in den östlichen Bundesländern zu sehen. Dabei ist der Rechtsextremismus ein Thema, das uns alle, egal in welchem Teil Deutschlands, angeht.
Zuerst erschienen in Reflexionen 2022, dem Jahresmagazin der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora.
Eine Initiative der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora in Zusammenarbeit mit Jakob Ganslmeier und EXIT-Deutschland.