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Handlungsstrategien, Möglichkeiten und Grenzen von politischer Bildung und Pädagogik im Kontext von Islamismus und islamistischer Radikalisierung

Von Floris Biskamp, Stefan E. Hößl.

Auszug:

Der Fokus der meisten wissenschaftlichen Veröffentlichungen über Islamismus, seine Ideologie, seine AkteurInnen und seine Verbreitung ist auf Fragen des Antiterrorismus, der Gefahrenabwehr oder der internationalen Politik gerichtet. Angesichts der realen Gefahr, die islamistischer Terrorismus auch in Deutschland und anderen europäischen Staaten darstellt, und der gewichtigen Rolle, die islamistischen AkteurInnen außenpolitisch zukommt, sind diese Perspektiven zweifelsohne von besonderer Relevanz. Jedoch läuft eine solche Schwerpunktsetzung Gefahr, eine wichtige andere Dimension auszublenden: Islamismus ist wie der Rechtsextremismus eine autoritäre, antidemokratische und antiemanzipatorische Ideologie, die auch in Europa verbreitet und für zahlreiche, insbesondere junge Menschen attraktiv ist. Eine solche Ideologie wird nicht nur dann zum Problem, wenn einige ihrer AnhängerInnen zu TerroristInnen werden; vielmehr ist sie insgesamt eine Herausforderung für demokratische Gesellschaften. Daher ist Islamismus auch kein Problem, das allein den Sicherheitsbehörden überlassen werden sollte. Ähnlich wie beim Rechtsextremismus gilt auch hier, dass die politische Bildung einen Beitrag zur Bekämpfung der antidemokratischen Ideologie leisten kann und sollte. Dementsprechend ist es notwendig, Islamismus als Thema der politischen Bildung zu begreifen (vgl. Bundschuh 2014: 341ff., 347f.).

Bislang existieren jedoch keine systematischen Untersuchungen über Methoden, Möglichkeiten und Grenzen politischer Bildungsarbeit gegen Islamismus. Ein vielversprechender Ansatz zur Schließung dieser Lücke besteht darin, auf die umfassenden Erkenntnisse aus der pädagogischen und politischen Bildungsarbeit gegen Rechtsextremismus zurückzugreifen und auf die Arbeit gegen Islamismus zu übertragen (vgl. Ceylan/Kiefer 2013: 169; Biskamp/Hößl 2013b: 10). Hier wurde im Laufe der letzten Jahrzehnte ein großer Schatz an Erfahrungen aus der praktischen Arbeit gesammelt. Auch wenn es in vielen Fragen zu keinem abschließenden Konsens kam, wurden die Erfahrungen ausführlich und kontrovers diskutiert, die Vor- und Nachteile verschiedener Strategien eingehend reflektiert. Eine Übertragung kann bei weitreichenden Gemeinsamkeiten zwischen Islamismus und Rechtsextremismus ansetzen, sie muss jedoch auch die jeweiligen Unterschiede reflektieren. Diese ergeben sich zum einen daraus, dass der Rechtsextremismus an nationalistische und rassistische Ideologien anknüpft, der Islamismus dagegen an eine religiöse Tradition, was zu einigen Divergenzen in Ideologie und Handlungsweisen führt. Zum anderen wird die Thematisierung von Islamismus dadurch verkompliziert, dass aktuell in Deutschland wie auch in anderen Ländern massive Ressentiments gegen den Islam bestehen. Diskussionen über Islamismus laufen, wenn sie zu verallgemeinernd oder undifferenziert sind, Gefahr, Vorurteilen Vorschub zu leisten, anstatt aufklärend zu wirken (vgl. Bundschuh 2014: 347). Um diesen beiden Besonderheiten gerecht zu werden, ist es notwendig, das Verhältnis von Islam und Islamismus zu reflektieren, wenn über letzteren diskutiert wird. Nur dann ist es möglich zu verstehen, wann ein Bezug auf Religion in islamistische Ideologie umschlägt und wann die Kritik am Islamismus droht, Ressentiments gegen den Islam zu verstärken.

In unserem Beitrag gehen wir in fünf Schritten vor. Um die notwendige Reflexion des Verhältnisses von Islam und Islamismus zu ermöglichen, ist es hilfreich, sich verschiedene Formen religiöser Lebensentwürfe, Haltungen, Einstellungen, Denk- und Wahrnehmungsweisen zu vergegenwärtigen – auch und gerade solcher, die politisch unproblematisch sind. Daher skizzieren wir im ersten Abschnitt auf der Basis empirischer Rekonstruktionen die Religiosität von vier muslimischen Jugendlichen – wobei sich in einem Fall Prozesse von Radikalisierung und Deradikalisierung nachzeichnen lassen. Nach diesen Darstellungen mit Fokus auf die Mikroebene, diskutieren wir im zweiten Abschnitt auf der Makroebene, wie sich der Islamismus zum Islam als religiöser Tradition verhält, um im dritten darzulegen, was seine ideologischen Kernbestandteile sind und inwieweit sie denen des Rechtsextremismus ähneln. Auf dieser Grundlage können wir uns dann der Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen politischer Bildungsarbeit gegen Islamismus widmen. Im vierten Abschnitt unterscheiden wir in Anlehnung an parallele Diskussionen in Bezug auf Rechtsextremismus fünf idealtypische AdressatInnengruppen der politischen Bildungsarbeit gegen Islamismus. Im fünften und letzten legen wir wiederum in Anlehnung an Debatten über Rechtsextremismus dar, welche Strategien der politischen Bildungsarbeit zur Verfügung stehen und wie sich diese zu den jeweiligen Zielgruppen verhalten.

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