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Mein Weg – Einmal AfD hin und zurück

Von Clemens Torno.

Nach meiner 9-jährigen Aktivität/Mitgliedschaft in der Jungen Union/CDU war ich der Ansicht, dass die CDU insgesamt zu weit nach links gerückt sei, als dass ich dort noch weiter Mitglied sein könnte. Als mehrere führende Unionspolitiker ihren Unmut gegenüber der CDU-Führung kundtaten und einzelne CDU-Politiker aus der CDU austraten, bin ich ebenfalls aus der CDU ausgetreten und – zunächst für ein halbes Jahr der Piratenpartei beigetreten. Ich wollte mich eher politisch rechts der Mitte engagieren und bin schließlich auf die AfD aufmerksam geworden. Durch die lange Mitgliedschaft hatte ich den Eindruck, als bräuchte Deutschland eine konservative Revolution. Der Eintritt in die AfD erfolgte schließlich im Jahr 2014. Für mich stand damals fest, dass die AfD der letzte Hort für konservative Politiker wäre. Darüber hinaus war die AfD auch deshalb für mich attraktiv, da sie auch in den ersten Jahren nach ihrer Gründung Ressentiments bediente und ich schon in der CDU eine ablehnende Haltung gegenüber Migranten hatte. Die AfD hat betont, Deutschland retten zu wollen. Ich sah folglich Deutschland von den Migranten, “links-grünen Gutmenschen” und einer angeblichen Entdemokratisierung durch die “Altparteien” bedroht.

Distanzierung und (gedanklicher) Ausstieg aus der AfD

Nachdem ich in der AfD meine neue politische Heimat gefunden habe, war ich mit vielen politischen Themen d‘accord. Ich war für den Brexit, ich war für mehr Nationalstaat und für viel weniger Europäische Union, ich war pauschal gegen Muslime und sonstige Migranten – auch innerhalb von Europa. Ich war nahezu vollständig überzeugt vom Programm der AfD und habe gegen die „vermeintlichen Altparteien“ gewettert und habe die Abschaffung der Demokratie durch das „links-grün-versiffte Gutmenschentum“ heraufbeschworen. Auch habe ich durch den Zuzug von den vielen Migranten, insbesondere aus den islamisch geprägten Ländern, eine Islamisierung des Abendlandes erkennen wollen.

Ich habe vor der Bundestagswahl die stetige Radikalisierung der AfD mit Sorge verfolgt. Auch wenn ich weiterhin loyal zur Partei gestanden habe, beschlich mich das Gefühl, dass ich es nicht so gut finden würde, wenn der AfD tatsächlich der Einzug in den Bundestag gelingen würde. Ich habe die Zersplitterung der AfD Fraktionen in den Landtagsfraktionen verfolgt und habe bereits vor dem Einzug der AfD in den Bundestag geahnt, dass weitere “Nazi Skandale” zutage treten würden. Als ich mit der Fortbildung zum staatlich geprüften Rechtsfachwirt im Jahr 2018 begonnen habe, musste ich feststellen, dass die Europäische Union doch eigentlich viel mehr ist, als die AfD immer behauptet hat. Ich empfand die Europäische Union plötzlich viel wichtiger, als dass ich es zu Beginn der AfD-Mitgliedschaft empfunden habe. Auch wenn die ablehnende Haltung gegenüber Muslimen in meinen Gedanken tief verankert war, habe ich mich seit 2017 weitestgehend von Parteiveranstaltungen ferngehalten. Ich zog es vor, meiner politischen Arbeit in der AfDFraktion den Vorrang zu gewähren. Die rechtsextremen Ausschreitungen in Chemnitz im Jahr 2018 haben mich tief beschämt. Die Instrumentalisierung der Mordopfer durch die AfD, in dem die Teilnehmer des “Trauermarsches” die Bildporträts der Opfer vor sich hertrugen, empfand ich im höchsten Maße als primitiv, billig und unanständig. Während der gesamten Jugendhilfeausschuss-sitzung empfand ich eine – vorher nie dagewesene Fremdscham.. Ich habe im späteren Jahresverlauf auf Facebook allen AfD-Seiten mein „Like“ entzogen. Es waren gefühlt unendlich viele AfD-Seiten, die mich jeden Tag mit eigenen Darstellungen und fiktiven Nachrichten fluteten.

Worte und Taten

Die Ereignisse in Kassel im Juni 2019, als feststand, dass der Politiker Walter Lübcke tatsächlich ermordet wurde, empfand ich als ziemlich abwegig, nahezu absurd. Für mich war es außerhalb meiner Vorstellungskraft, dass ein Politiker deshalb ermordet wird, weil er sich für Schutzsuchende einsetzte. Eine echte Bestürzung habe ich in der selbst ernannten Partei des Grundgesetzes und des Rechtsstaates, die AfD, nicht gespürt. Der Mord wurde von vielen Parteigliederungen der AfD hämisch kommentiert. Die Ermittlungen der Behörden ergaben, dass Herr Stephan Ernst, Wahlhelfer und ein Sympathisant der AfD, verdächtigt wird, die Tat begangen zu haben. Die Trauer und der Schock über diesen Mord haben mich auch dahingehend beeinflusst, mich weiter von der AfD gedanklich zu trennen. Der Landesverband Berlin der AfD war für mich eine schöne Blumenwiese ohne nennenswerte rechtsextreme Tendenzen. Ich habe wenige Tage nach dem Mord an Walter Lübcke einen Kommentar auf Facebook gelesen, der mich sprachlos zurückließ. Ein AfD-Sympathisant hatte auf der Facebook-Seite eines AfD-Politikers gefordert, die Bundeskanzlerin „abzuknallen.“ Ich habe bei der Polizei Berlin entsprechend Strafanzeige gestellt.

Am 9. Oktober 2019 hat offenbar ein rechtsextremer Einzeltäter versucht, in eine Synagoge in Halle an der Saale zu gelangen und dutzende jüdische Mitbürger und Mitbürgerinnen aufgrund ihres Glaubens zu ermorden. Er scheiterte an der Holztür der Synagoge und ermordete in seinem Wahn und grenzenlosen Hass zwei Deutsche Bürger. Rassismus und Fremdenfeindlichkeit töten also nicht nur Menschen mit Migrationshintergrund, sondern auch die Menschen, die keinen Migrationshintergrund vorzuweisen haben. Herr Stephan Brandner, Bundestagsabgeordneter der AfD hatte schließlich sinngemäß getwittert, warum denn deutsche Politiker vor und in der Synagoge herumlungern würden, wenn doch zwei Deutsche gestorben seien.

Die AfD-Landtagsfraktion NRW hat ein Malbuch für Kinder veröffentlicht. Die darin zur Schau gestellten Karikaturen ließen mich erneut sprachlos zurück. Das Malbuch war ein Inbegriff dessen, was ich als Hass und Hetze gegen religiöse Minderheiten auf eine sehr widerwärtige Weise bezeichne. Ich habe am 19. Februar 2020 die Veröffentlichung des Malbuchs gegenüber der NRW-Landtagsfraktion der AfD kritisiert und bekam keine Antwort. Während des späten Abends habe ich dann erfahren müssen, dass ein rechtsextremer Schläfer, der offenbar psychisch krank gewesen sein soll, grundlos in einer Shisha Bar 10 Menschen ermordet hat. Angeleitet wurde der Täter von Umvolkungsfantasien und sonstigen Verschwörungstheorien. Herr Tino Chrupalla, Bundessprecher der AfD, sprach davon, den Umvolkungsbegriff frei und offen zu verwenden.

Die AfD geht bewusst das Risiko ein, dass sich rechtsextreme Schläfer von der Agitation der AfD inspirieren lassen, um schließlich Jagd auf Oppositionelle, Migranten und Asylsuchende zu machen.

Der Riss

Letztlich war ich innerlich tief zerrissen und zunehmend abgeschreckt von der AfD, da diese nahezu bei jeder Gelegenheit Bezüge zum Nationalsozialismus herstellt oder eben jenen Nationalsozialismus verächtlich macht. Dies macht die AfD gerade dadurch deutlich, in dem sie den Sprachgebrauch aus der Zeit des Nationalsozialismus verwendet und gleichermaßen Sympathien für das NS-Regime bekundet. Wenn führende Politiker und Funktionsträger der AfD offenkundig rechtsextrem sind und ihre eigene Vergangenheit zu relativieren versuchen und demokratische Institutionen verächtlich machen, dann ist die AfD eine Gefahr für die Demokratie. Besonders tief blicken lässt auch, dass Herr Siegbert Droese, Bundestagsabgeordneter der AfD, nicht nur ein führendes Mitglied der rechtsextremen Identitären Bewegung beschäftigt (hat), sondern dass Herr Siegbert Droese sich auch vor der „Wolfsschanze“ mit der rechten Hand auf dem Herz ablichten ließ. Der Bundestagsabgeordnete Wilhelm von Gottberg nennt den Holocaust gar einen „Mythos“. Der Bundestagsabgeordnete Petr Bystron reiste nach Südafrika und traf Vertreter der rechtsextremen und rassistischen „Suidlanders“, um mit ihnen gemeinsam einen Schießstand auszuprobieren. Schließlich kandidiert Nicolaus Fest im Landesverband Berlin auf dem nächsten Parteitag als Landesvorsitzender. Dieser hatte bei einem Bürgerdialog des AfD-Kreisverbandes Lüchow-Dannenberg/Lüneburg im Jahr 2018 geäußert, dass „man Merkel erlegen müsse“. Eine Verachtung sondergleichen gegenüber demokratischen Institutionen. Die Liste von Äußerungen seitens derer, die einen klaren rechtsextremistischen und demokratiefeindlichen Bezug haben, ist sehr leicht zu recherchieren. Insbesondere die Verwendung des Begriffs der “Altparteien” durch die AfD ist eine Verhöhnung der demokratischen Willensbildung.

Ich hatte viele Informationen über die AfD zusammengetragen, unteranderem zu Herrn Björn Höcke (AfD Thüringen), als dieser frei und ungeniert von einer “Entartung” sprach. Die zahlreichen Hinweise verstärkten bei mir den Eindruck, dass die AfD nicht auf dem Boden des Grundgesetzes steht. Auf der anderen Seite wollte ich auch weiterhin die finanziellen Vorzüge genießen, die mir eine Mitgliedschaft in der AfD-Fraktion der BVV Berlin-Mitte bot. Ich habe also nach meinen Möglichkeiten versucht, gegen die AfD Widerstand zu leisten.

In der Zeit von 2017 bis 2019 hatte ich erstmals regelmäßig über einen längeren Zeitraum Kontakt zu einer Kollegin muslimischen Glaubens. Diese Zusammenarbeit hat mich in meinen Gedanken insoweit verändert, als ich feststellen musste, dass nicht jeder Muslim einen Sprengstoffgürtel um die Hüfte trägt. Im Jahr 2019 bin ich schließlich aus der Kirche ausgetreten und bin zum Buddhismus konvertiert. Ich habe mich mit dem Thema der Toleranz beschäftigt und schließlich mein Wertefundament neu ausgerichtet. Ich habe den tief gelagerten Hass extrahiert und mich schließlich vollständig davon abgegrenzt.

Das Ende

Nach sechs Jahren Mitgliedschaft in der AfD musste ich also zwangsläufig bei Betrachtung des Gesamtbildes feststellen, dass sich die AfD hin zu einer Fundamentalopposition entwickelt hat. Die AfD vernachlässigt ihre Verantwortung gegenüber ihren Mitgliedern. Die Parteiführung der AfD kann die Mitgliedschaft nicht zusammenhalten.

Es werden Verbindungen zu Reichsbürgern und zu der Identitären Bewegung gepflegt, sodass der Radikalisierungsprozess der AfD weiter voranschreitet. Es hat sich bei mir der Eindruck verstärkt, als wolle ein Teil der AfD Mitglieder einen Bürgerkrieg heraufzubeschwören und daraus einen Systemwechsel herbeiführen. Einzelne Landtagsabgeordnete der AfD Brandenburg und anderer Fraktionen hatten versucht, die Proteste der Gelbwesten-Träger in Deutschland zu etablieren. Ich habe diese Stimmungen innerhalb der AfD aufmerksam verfolgt. Es wurde auf Facebook -Seiten der AfD geäußert, dass der “Deutsche lieber zu Hause auf der Couch liegen würde als aufzuwachen, um gegen das Merkel-Regime zu demonstrieren.” Bei Demonstrationen, die maßgeblich von der AfD und anderen rechten Splittergruppen initiiert worden sind, entwickelte sich teilweise aus der Menge der Demonstrationsteilnehmer eine pogromartige Stimmung gegen die Regierung und gegenüber der Presse. Die AfD bezeichnet sich selbst als Partei des Rechtsstaates und des Grundgesetzes. Sie wird diesem Vergleich keinesfalls gerecht. Nicht nur, dass der Volksbegriff der AfD elementar dem des Grundgesetzes widerspricht, sondern auch, weil breite Teile der AfD Bevölkerungsschichten, insbesondere Migranten und Schutzsuchende, verächtlich machen. Die AfD hat ein Hang zur nationalen Autokratie, sie beschwor jüngst bei der Abwahl Donald Trumps in den USA einen Wahlbetrug herauf, ohne nennenswerte Beweise vorzulegen. Die AfD begleitet persönlich bei jeder demokratischen Wahl von demokratischen Institutionen durch ihre Mitglieder die Auszählung der Stimmen, um einen vermeintlichen Wahlbetrug vorzubeugen. So wurde in Sachsen die Landeswahlleiterin massiv bedroht, weil sie vor der Landtagswahl 2019 die vorgelegte AfD-Kandidatenliste monierte und weitgehende Änderungen an der Kandidatenliste der AfD vornahm. Es muss also konstatiert werden, dass die AfD eine Veränderung für die demokratische Kultur in Deutschland bedeutet. Oppositionelle werden nicht als politische Gegner bezeichnet, sondern als “Feinde” verunglimpft. Ich habe erste Konsequenzen im Jahr 2019 vor der Europawahl gezogen, in dem ich schließlich die Bürger in Berlin-Mitte dazu aufgerufen habe, der AfD in der Wahlkabine die Rote Karte zu zeigen. Ich habe mich dazu entschlossen, der negativen Veränderung der demokratischen Kultur durch die AfD entschieden entgegenzutreten. Deshalb bin ich nach sechs Jahren Mitgliedschaft aus dem Schnellzug ausgestiegen.

“Angst kann dich gefangen halten. Hoffnung kann dich befreien.” Das Weltbild der AfD habe ich als ein Korsett aus Angst und Hass empfunden. Nach Bewertung der AfD würde ich sagen, dass die AfD inzwischen als eine Sekte bewertet werden muss. Die Mitglieder der AfD sind gefangen in ihrem eigenen Weltbild, ihrem eigenen Mainstream.

Ich habe die Partei verlassen und habe meine Beweggründe erklärt. Die eingesparten Mitgliedsbeiträge habe ich bereits in eine Patenschaft für ein Kind aus Mali reinvestiert. Ich trage also auch für mein Patenkind Verantwortung, mich der AfD entschieden entgegenzustellen.

Ich fühle mich erstmals seit meinem Beitritt in der AfD frei und ohne Angst und Hass.

 

Update: Clemens Torno im Gespräch mit dem Deutschlandfunk.

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Zur Person: Clemens Torno ist Rechtsanwaltsfachangestellter und arbeitet bei einer mittelständischen Rechtsanwalts-, Wirtschaftsprüfer- und Steuerberatungsgesellschaft. Er war Mitglied des Bezirksverbandes Berlin Mitte und im Ausschuss für Jugendliche, Schule sowie Umwelt, Natur Verkehr und Grünflächen. Weiterhin Mitglied im Behindertenbeirat.

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Foto: Mario Gogh / unsplash.com