Die Ausstellung „HAUT, STEIN“ in Ostritz / Sachsen
Von Fabian Wichmann und Ulrike Krause.
Zur Vernissage am 06.11.2021 kamen mehr als 70 Gäste in die historische Villa Heinrichwerk und diskutierten zum Thema Rechtsextremismus.
Veränderung im sich verändernden Raum
Die in Restaurierung befindliche Villa Heinrichwerk ist für eine Woche Galerie und bietet mit ihrem in Veränderung befindlichen baulichen Zustand die perfekte Umgebung für eine Ausstellung, in der es ebenfalls um Veränderung und Auseinandersetzung mit der Vergangenheit geht.
Die Ausstellung „Haut, Stein“ von Jakob Ganslmeier und EXIT-Deutschland rückt den Umgang mit nationalsozialistischen Symbolen in den Blick. Sie hinterfragt das Verbleiben, Verwenden und Verwischen einschlägiger Zeichen aus zwei Perspektiven: In Architektur und baulichen Ornamenten schreibt sich die Symbolik des Nationalsozialismus im öffentlichen Raum fort; als Tätowierungen dienen diese Zeichen dem individuellen Bekenntnis zum Rechtsextremismus.
Eingraviert in die Haut werden die Zeichen im Zuge des Ausstiegs zu Relikten einer Vergangenheit, die sich nicht so einfach auslöschen lassen. Im Zuge der mentalen Aufarbeitung der Weltanschauung und der Unterstützung bei der Neuorientierung im Alltag hilft EXIT-Deutschland auch beim Entfernen rechtsextremer Tattoos.
Der Künstler Jakob Ganslmeier begleitete über 3 Jahre diesen Prozess. Er porträtierte ehemalige Neonazis im Zuge der Entfernung / Überdeckung ihrer Tattoos und dokumentierte ihre Geschichte, die in Podcasts festgehalten wurde. Entstanden ist eine künstlerische Arbeit, die den Prozess des Ausstiegs zeigt und Einblicke in (De-)Radikalisierungsprozesse gibt und über ihre zeitgemäße Aufarbeitung eine Herangehensweise an das Thema in unterschiedlichen Kontexten bietet.
Der Podcast zur Ausstellung
Die Interviews zur Ausstellung wurden für einen Podcast eingesprochen. Die Geschichten von fünf Männern und zwei Frauen erzählen von ihrem Ein- und Ausstieg: über Gründe, Zweifel, von der Ent- scheidung bis zum Bruch, von ihrem Leben nach dem Ausstieg und der Entfernung von Szenetattoos. Eingesprochen von Felix Lobrecht, Patrick Salmen, Julia Gamez Martin, Steffen Schroeder, Felix Römer, Ariana Baborie und Kai Lüftner.
Wandel und Kontinuität
Der Fokus der Aussteiger-Portraits liegt darauf, die Entfernung zum Teil großflächiger rechtsextremer Tätowierungen zu zeigen. Die in den Körper eingeschriebenen Zeichen, die jahrelang Ausdruck der eigenen Identität und politischen Weltanschauung waren, verschwinden nach und nach. Die Entfernung ist langwierig, schmerzhaft und kostspielig, vor allem aber ein sehr bewusster und wichtiger Schritt im Ausstiegsprozess.
Die Ausstellung möchte den Ausstieg aus dem Rechtsextremismus als Prozess des Wandels begreifbar machen und die innere Distanz des Betrachters zum Ausstellungsgegenstand aufbrechen. Die sehr persönlichen und individuellen Geschichten und großformatigen Portraits erzeugen Nähe, gehen „unter die Haut“ und laden zu einer intensiven Auseinandersetzung ein.
Daneben zeigen Schwarz/Weiß-Fotografien des Künstlers historische NS-Symbole an Häusern, Schmuckbändern, Fassaden in ihrem räumlichen Zusammenhang im Dorf, an Straßen, in Siedlungen, die bis heute unverändert sichtbar oder nach Versuchen der Verfremdung noch immer erkennbar sind.
Das Gesamtprojekt stellt die individuellen Geschichten in einen gesellschaftspolitischen Zusammenhang – und an uns die Frage: Wie vergangen ist die deutsche Vergangenheit?
Verantwortung
An einem Ort wie Ostritz, der in der Vergangenheit mit Veranstaltungen der rechtsextremen Szene konfrontiert war, ist eine Auseinandersetzung mit dem Thema besonders wichtig.
Nach einem Vortrag von EXIT-Deutschland zu aktuellen Entwicklungen des Rechtsextremismus und kultursubversiven Prozessen berichtete Jakob Ganslmeier über die Idee und die Entstehung der Ausstellung, die bewusst nicht mit dem Stilmittel der Ästhetisierung der Fotografierten und ihrer Tattoos arbeitet, sondern nackt und schlicht die Aussteiger in ihrer Entwicklung zeigt. Thematisiert wird die individuelle Verantwortung in Bezug auf den Umgang mit der eigenen Geschichte: den veränderten oder ausgeblichenen Farbteilchen in der Haut, die Symbol für einen Neuanfang und die Auseinandersetzung mit der Veränderung sind.
Der Ausstellung geht es nicht um den erhobenen Zeigefinger, vielmehr geht es um Verantwortung: um die der Aussteiger und um die Verantwortung einer Gesellschaft vor dem Hintergrund ihrer Vergangenheit und einer Gegenwart, in der noch heute sichtbare Symbole und Propaganda eines faschistischen Systems eine Mahnung sein sollten.
Vergangenheit in der Gegenwart
Dass diese Prozesse auch 80 Jahre nach dem Nationalsozialismus noch immer aktuell sind, zeigen auch die Bilder der STEIN-Serie eindrücklich. Neben Fotografien von Relikten in deutschen Städten und Dörfern, die teilweise bewusst als Mahnung belassen wurden, andere wurden übersehen oder einfach vergessen, zeigt die Ausstellung auch Beispiele aus Österreich.
Ein besonders eindringliches Beispiel ist das Hakenkreuz auf der mittelalterlichen Burgruine Hochkraig in Kärnten, das zeigt, dass die Frage der Verantwortung im Umgang mit dem nationalsozialistischen Erbe bis heute virulent ist. 1934 von NS-Anhängern angesichts des gescheiterten Umsturzversuches österreichischer Nationalsozialisten mit Farbe aufgebracht, wurde es nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich und der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1938 im Auftrag der SA nochmals zu einer exakten Ausführung überarbeitet. Nach dem Krieg übermalt und von Bäumen verdeckt, wurde es im Zuge von Sanierungsarbeiten an der Burg 2011 wieder sichtbar, und es begann ein jahrelanger Streit um die Kosten der Beseitigung bzw. Unkenntlichmachung zwischen Eigentümer, Land und Bund, der erst 2019 seinen Abschluss fand und damit endete, dass nur Land und Bund die Kosten und damit Verantwortung übernahmen. Die Haken des Kreuzes wurden zu einer Art Quadrat mit Fensterkreuz verbunden und damit unkenntlich gemacht.
Auch Aussteiger und Aussteigerinnen haben mit ähnlichen Fragen zu kämpfen, gerade, wenn es um großflächige Tätowierungen geht. Doch sie übernehmen eine persönliche Verantwortung, der sie nachkommen, wenngleich auch sie mit Fragen der Finanzierung von Cover-Ups und Laserbehandlungen konfrontiert sind. Der Prozess des Ausstiegs ist langwierig, schwierig und für Aussteiger eine Herausforderung. Die Entfernung von Tattoos ist ein Teil dieses Prozesses, das macht die Ausstellung sichtbar, auch wenn die ehemaligen Extremisten nicht soviel Zeit wie die Kärntner haben, sind sie mit der Frage der Verantwortung konfrontiert und haben eine Antwort gefunden.
Die Ausstellung ist bis zum 13.11.2021 in Ostritz zu sehen.
Bisherige Ausstellungsorte
- 2019 Die Anderen sind wir | Brandenburgisches Landesmuseum für moderne Kunst, Cottbus
- 2019 Neo-Right | BWA Galeria, Zielona Gora, Polen
- 2019 Haut, Stein | Werkschau, FH Bielefeld
- 2020 / 2021 Bastion Kronprinz / Zitadelle Spandau
Mehr zur Ausstellung unter EXIT-Deutschland oder unter jakobganslmeier.com.